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Richter: „Wahrheit interessiert mich nicht!“

Rechtsanwalt Tobias Goldkamp am 30. Januar 2013

Ein Richter des Landgerichts Chemnitz lehnte einen Beweisantrag mit dem Hinweis ab, die Wahrheit interessiere ihn nicht. Seine Richterkollegen am Landgericht Chemnitz und Oberlandesgericht Dresden sahen darin keinen Befangenheitsgrund. So musste das Bundesverfassungsgericht entscheiden (Beschluss vom 12.12.2012 – 2 BvR 1750/12).

Der Richter hatte sich geweigert, einen Beweisantrag und weitere Äußerungen des Rechtsanwalts in der Verhandlung zu protokollieren. Der Anwalt hielt daraufhin dem Richter vor, dass es Aufgabe des Richters ist, die Wahrheit zu erforschen. Der Richter antwortete: „Die Wahrheit interessiert mich nicht.“

Daraufhin stellte der Anwalt für seine Mandantin einen Befangenheitsantrag. Das Landgericht sah keinen Befangenheitsgrund. Die Aussage des Richters belaste beide Prozessparteien gleichermaßen und könne daher nicht als einseitige Parteinahme verstanden werden. Die Antragstellerin legte sofortige Beschwerde ein. Das Oberlandesgericht Dresden wies diese zurück. Der Rechtsanwalt habe den Richter durch Verweis auf die Pflicht zur Wahrheitsfindung sachwidrig beeinflussen wollen, dessen habe sich der Richter erwehrt. Auch eine anschließend noch eingelegte Anhörungsrüge wurde zurück gewiesen.

Auf die daraufhin erhobene Verfassungsbeschwerde hob das Bundesverfassungsgericht die Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlandesgerichts auf:

„Mit der Äußerung, auf die sich der Befangenheitsantrag der Beschwerdeführerin bezog, hat der Richter nicht nur Unmut über ein Verhalten ihres Bevollmächtigten zum Ausdruck gebracht, sondern zugleich bekundet, dass er an der Erfüllung einer wesentlichen richterlichen Amtspflicht nicht interessiert sei. Der zivilprozessuale Beibringungsgrundsatz macht es zwar zur Sache der Parteien, die notwendigen Tatsachenbehauptungen aufzustellen und Beweismittel zu benennen, und beschränkt insoweit die Aufgabe des Richters, den Sachverhalt zu erforschen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Februar 2008 – IX ZB 137/07 -, NZI 2008, S. 240 ). Er bedeutet aber ebenso wenig wie andere Beschränkungen der Pflicht zur Ermittlung und Berücksichtigung von Tatsachen – wie sie, etwa im Interesse der Verfahrensbeschleunigung, auch im Ansatz vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägte Verfahrensordnungen kennen -, dass den Richter die Wahrheit grundsätzlich nicht zu interessieren hätte. Auch der Zivilrichter ist nach Maßgabe der anwendbaren Verfahrensordnung, seinem Amtseid gemäß, verpflichtet, der Wahrheit zu dienen (§ 38 Abs. 1 DRiG).

Nachdem der Richter sich geweigert hatte, einen Beweisantrag und weitere Äußerungen des Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin in das Protokoll aufzunehmen, und dieser deshalb dem Richter vorgehalten hatte, es sei seine Aufgabe, die Wahrheit zu erforschen, stellte die daraufhin an den Bevollmächtigten gerichtete Äußerung des Richters, die Wahrheit interessiere ihn nicht, keinen bloßen Hinweis auf die zivilprozessrechtlichen Grenzen der richterlichen Pflicht zur Sachverhaltsermittlung dar. Unter diesen Umständen war die Annahme des Landgerichts, die Äußerung begründe keine Ablehnung, weil sie beide Parteien gleichermaßen beschwere, unvertretbar. Die grob unsachliche Äußerung des Richters war eindeutig als zurückweisende Reaktion auf ein vom Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin vorgebrachtes Anliegen erfolgt und daher offensichtlich geeignet, den Eindruck einer Voreingenommenheit gerade nach dieser Seite hin zu erzeugen. Erst recht ist die Annahme des Oberlandesgerichts nicht tragfähig, die Äußerung sei hinzunehmen als Reaktion auf eine sachwidrige Beeinflussung durch den Beklagtenvertreter, der die Pflicht zur Wahrheitsfindung als Druckmittel eingesetzt habe, um den Richter zur Anhörung des Zeugen zu bewegen. Weshalb in dem Hinweis auf eine bestehende Amtspflicht eine sachwidrige Druckausübung liegen soll, ist nicht ansatzweise nachvollziehbar. Selbst wenn der Bevollmächtigte der Beschwerdeführerin mit seinem Hinweis auf die Wahrheitserforschungspflicht des Gerichts die Reichweite dieser Pflicht unter den gegebenen Umständen verkannt haben sollte, kann darin eine die Besorgnis der Befangenheit ausschließende Rechtfertigung für die anschließende Äußerung des Richters schon deshalb nicht liegen, weil in einem rechtsstaatlichen Verfahren die Pflicht des Richters zur Erfüllung seiner Amtspflichten und zu sachlichem Umgang mit dem Parteivorbringen nicht davon abhängt, dass dieses Vorbringen auf zutreffenden rechtlichen Einschätzungen beruht.“

Tipps

Meistens geht es in Zivilgerichtsverfahren höflich, sachlich und fair zu. Die meisten Richterinnen und Richter versehen ihre Aufgabe kompetent und professionell.

Kommt es dennoch zu kritikwürdigen Äußerungen, ist zu empfehlen, zunächst zu beantragen, dass die relevanten Äußerungen ins Protokoll aufgenommen werden (§ 160 Abs. 2 ZPO). Weigert sich der Richter, sollte die Nichtprotokollierung beanstandet werden. Über die Beanstandung muss das Gericht durch Beschluss entscheiden (§ 140 ZPO). Dieser muss zwingend protokolliert werden (§ 160 Abs. 3 Nr. 6 ZPO). Geschieht auch das nicht, ist sofort ein Befangenheitsantrag zu stellen (§ 42 Abs. 2 ZPO). Wird der Befangenheitsantrag erst später gestellt, kann er wegen der Verzögerung unzulässig sein (§ 43 ZPO). Weitere Hinweise zur mündlichen Verhandlung hier.

Rechtsanwalt Tobias Goldkamp
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Erbrecht
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Rechtsberatung:

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