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Identifizierung im Strafverfahren durch Wahllichtbildvorlage

Rechtsanwalt Tobias Goldkamp am 11. April 2017

Der Verteidiger muss verhindern, dass dem Zeugen im Gerichtssaal der Mandant als Angeklagter vorgestellt wird. Denn die davon ausgehende suggestive Wirkung ist irreparabel. Zur Personenidentifizierung im Strafverfahren ist in der Regel eine Wahllichtbildvorlage durchzuführen.

Lichtbildvorlage und Gegenüberstellung

Kommt es darauf an, eine verdächtige Person als Täter zu identifizieren, ist hierzu die Wahllichtbildvorlage das geeignete Mittel. Rechtsgrundlagen sind § 58 Abs. 2 StPO und RiStBV Nr. 18.

Bei der Wahllichtbildvorlage werden dem Zeugen acht Bilder vorgelegt, darunter das Bild des Verdächtigen, mit der Aufforderung, zu jedem Bild mitzuteilen, ob er den Täter wiedererkennt. Die Anzahl der Vergleichsbilder muss ausreichend groß sein, um das Risiko einer zufälligen Identifikation zu senken (BGH, Beschluss vom 09. November 2011 – 1 StR 524/11 –, juris Rn. 8).

Die Lichtbildvorlage sollte nicht abgebrochen werden, wenn der Zeuge eine Person wiederzuerkennen meint. Durch Wahrung der Anzahl der Vergleichsbilder werden etwaige Unsicherheiten des Zeugen in seiner Beurteilung erkennbar. Bei einem vorzeitigen Abbruch kann der Beweiswert gemindert sein (BGH, Beschluss vom 09. November 2011 – 1 StR 524/11 –, juris).

Alternativ zur Lichtbildvorlage ist eine Wahlgegenüberstellung möglich, wird jedoch wegen des Aufwands in der Regel nur bei Verbrechen praktiziert. Dies wird teilweise kritisch gesehen. Fotos vermitteln wegen ihrer nicht vorhandenen Tiefe und der fehlenden Bewegungen nur einen unvollkommenen Eindruck einer Person. Hinzu kommt, dass die Wirkung von Licht und Schatten den Eindruck noch mehr verzerren kann (LG Köln, Urteil vom 22. Mai 1990 – 112 – 4/89 –, NStZ 1991, 202).

Grundsätze

Das OLG Karlsruhe formulierte 1983 zentrale Grundsätze für eine taugliche Gegenüberstellung (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. März 1983 – 3 HEs 77/83 –, StV 1984, 9), sinngemäß:

  • Es ist alles zu vermeiden, was das Erinnerungsbild des Augenzeugen vom Täter vor der Wahllichtbildvorlage beeinträchtigen könnte. Dies gilt insbesondere für die Vorlage von Lichtbildern vom Tatverdächtigen oder für die Möglichkeit, ihn als Einzelperson als Verdächtigen oder unter Umständen, die ihn als Verdächtigen erscheinen lassen, zu sehen.
  • Die Auswahlbilder müssen zur Täterbeschreibung passen. Das Bild des Tatverdächtigen sollte sich äußerlich möglichst wenig von den Auswahlpersonen unterscheiden, insbesondere in der Art der Kleidung und im sonstigen Habitus.
  • Es ist alles zu vermeiden, was eine suggestive Wirkung auf den Augenzeugen dahin haben könnte, der Täter müsse sich unter den Auswahlpersonen befinden.

Sequentielle Gegenüberstellung ist besser als gleichzeitige Gegenüberstellung

Um zu verhindern, dass der Zeuge die dem Täter am meisten ähnelnde Person auswählt, ohne diese wirklich wiederzuerkennen, sollen die Fotos nicht gleichzeitig, sondern nacheinander vorgelegt werden (sukzessive bzw. sequentielle Wahllichtbildvorlage, BGH, Beschluss vom 09. März 2000 – 4 StR 513/99 –, juris Rn. 8).

Die oft in Krimis gezeigte Identifikation aus einer Reihe gleichzeitig aufgestellter Personen entspricht also nicht dem Stand der Kriminalistik und Rechtsprechung.

Zeugen nicht beeinflussen

Zudem ist alles zu vermeiden, was einen suggestiven Einfluss ausübt. Die generelle Suggestivität der Wahllichtbildvorlage sollte darüber hinaus vermindert werden durch den zutreffenden Hinweis an den Zeugen, dass sich der Täter nicht unter den vorgestellten Personen befinden muss (LG Köln, Urteil vom 22. Mai 1990 – 112 – 4/89 –, NStZ 1991, 202).

Es darf nicht zu erkennen sein, welche der Personen beschuldigt ist. Das Bild des Verdächtigen darf in keiner Weise herausgehoben werden. Die Bilder müssen optisch gleichartig beschaffen sein, etwa was Hintergrund, Beleuchtungssituation, Helligkeit, Kontrast und Proportionalität anbetrifft.

Wichtig ist auch, dass die gezeigten Vergleichsbilder der Täterbeschreibung des Zeugen entsprechen. Kann der Zeuge Vergleichspersonen schon aufgrund der von ihm beschriebenen Merkmale ausschließen, ist nicht gesichert, dass seine Identifikation einer verbleibenden Person auf einem wirklichen Wiedererkennen beruht.

Immer wieder kommen Fälle vor, in denen Urteile wegen Beeinflussung des Zeugen aufgehoben werden (Bild des Angeklagten größer als das der anderen Personen, Vergleichsbilder entsprachen nicht der Täterbeschreibung: BGH, Urteil vom 19. November 1997 – 2 StR 470/97 –, juris Rn. 4; Polizeibeamter zeigt auf das Bild des Verdächtigen und sagt, das könne vielleicht der Täter gewesen sein: BGH, Beschluss vom 07. Januar 1993 – 4 StR 588/92 –, juris).

Genaue Dokumentation erforderlich

Damit das Gericht überprüfen kann, ob die Regeln der Wahllichtbildvorlage beachtet wurden und in die Lage versetzt wird, den Beweiswert dieser „vorweggenommenen Beweisaufnahme“ zu beurteilen, sind alle maßgeblichen Umstände möglichst umfassend zu dokumentieren.

Bei einer Wahlbildvorlage müssen dem Gericht alle dem Zeugen vorgelegten Lichtbilder zugänglich gemacht werden (OLG Köln, Urteil vom 16. Juli 1985 – Ss 220 – 221/85 –, NStE Nr 1 zu § 58 StPO). Dabei müssen die Bekundungen des Zeugen genau wiedergegeben werden (BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 4 StR 412/15 –, juris Rn. 3).

Die Einzelheiten der Durchführung sind aktenkundig zu machen. Hierzu gehört nicht nur die Erklärung des Zeugen zur vom Zeugen ausgewählten Person (z.B. „Bin mir zu 60% sicher“), sondern auch seine Erklärungen zu den anderen, nicht ausgewählten Personen (z.B. „auf keinen Fall“ oder „könnte es auch sein, denke aber eher nicht“).

Wiederholtes Wiedererkennen

Geschehen Fehler bei der Identifizierung, können diese in der Regel nicht mehr repariert werden.

Wird der Verdächtige dem Zeugen als Einzellichtbild präsentiert, besteht eine hohe Gefahr, dass der Zeuge in seinem Bemühen, der Polizei bei der Aufklärung zu helfen, ein Wiedererkennen bejaht.

Von dieser Festlegung wird er nicht ohne weiteres wieder abrücken.

Das Lichtbild kann die Erinnerung im Gedächtnis des Zeugen regelrecht überschreiben, so dass er bei späteren Identifizierungsmaßnahmen diese Person wiedererkennt, auch wenn er sie nicht als Täter beobachtet hat (vgl. Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 4. Aufl., Rn. 1352 ff.).

Alle diese Prozesse können unterbewusst ablaufen. Es geht also nicht darum, Lügen aufzudecken, sondern darum, Irrtümer auszuschließen.

Einem wiederholten Wiedererkennen kommt wegen des Überlagerungseffektes kein Beweiswert zu, vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 05. Februar 2007 – 2 Ss 312/06 –, juris Rn. 15:

„Im Rahmen der Würdigung der zur Überführung des Angeklagten allein zur Verfügung stehenden Aussagen der beiden Zeugen ist das Landgericht zu Recht davon ausgegangen, dass nach den gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen der kriminalistischen Praxis die Verlässlichkeit eines erneuten Wiedererkennens fragwürdig ist, weil es durch das vorausgegangene Wiedererkennen beeinflusst werden kann.

Denn in der Regel wird der beim ersten Wiedererkennen gewonnene Eindruck das ursprüngliche Erscheinungsbild überlagern.

Damit entsteht der Eindruck, dass der Zeuge – sich selbst unbewusst – den gegenwärtigen Eindruck mit dem Erinnerungsbild vergleicht, das auf dem ersten Wiedererkennen beruht. In Wahrheit wird also der Angeklagte nicht mit dem Täter, sondern mit der bei der Lichtbildvorlage oder Gegenüberstellung als verdächtig angesehenen Person verglichen (st. Rspr. – vgl. BGHSt 16, 204,206; BGH NStZ 1997, 355; StV 1996, 649, 650; NStZ 1982, 342; OLG Zweibrücken StV 2004, 65, 66; OLG Köln StV 1992, 412, 413; OLG Hamm NStZ 1990, 506, 507; Meyer-Goßner a.a.O. § 58 Rdnr. 13; Dahs in Löwe-Rosenberg, 25. Aufl. § 58 Rdnr. 14; Rogall in SK-StPO, 44. Lfg. [August 2005] § 58 Rdnr. 59; Senge in Karlsruher-Kommentar, StPO, 5. Aufl. § 58 Rdnr. 9).“

Verteidigung beteiligen

Um zu überprüfen, ob die Wahllichtbildvorlage den Anforderungen genügt, sollte der Verteidiger vorsorglich beantragen, an der Identifizierungsmaßnahme beteiligt zu werden.

Nach der Rechtsprechung des BGH ist das Gericht auch ohne Antrag von sich aus verpflichtet, für eine Beteiligung zu sorgen:

„Es widerstreitet der Struktur des Strafverfahrens grundlegend, wenn das Gericht während laufender Hauptverhandlung wesentliche, ihrer Natur nach nicht geheimhaltungsbedürftige, ergänzende polizeiliche Ermittlungen- wie hier die Durchführung einer Wahlgegenüberstellung -, deren Ergebnis dann in der Hauptverhandlung möglicherweise maßgeblich verwertet werden soll, in Auftrag gibt, ohne die Verteidigung hierüber zuvor ausreichend zu informieren und ohne den Versuch zu unternehmen, eine effektive Teilhabe der Verteidigung an den vorgesehenen Ermittlungen zu gewährleisten.“

(BGH, Beschluss vom 21. Juli 2009 – 5 StR 235/09 –, Rn. 18, juris)

Antrag auf Wahllichtbildvorlage

Der Verteidiger sollte die Initiative ergreifen und von sich aus eine Wahllichtbildvorlage beantragen, wenn diese im Ermittlungsverfahren nicht erfolgt ist und sein Mandant in der Hauptverhandlung durch Zeugen identifiziert werden soll.

Er kann z.B. formulieren: „Um eine korrekte Identifizierung nicht durch Suggestion zu beeinflussen, ist auf jeden Fall zu vermeiden, dem Zeugen … meinen Mandanten im Gerichtssaal als Angeklagten vorzustellen. Ich beantrage, zum Beweis der Tatsache, dass die von dem Zeugen … bei dem Vorfall vom … beobachtete Person in Aussehen und Gestalt nicht meinem Mandanten entspricht, den Zeugen … zu vernehmen und mit ihm vorbereitend vor der Hauptverhandlung eine Wahllichtbildvorlage nach § 58 Abs. 2 StPO durchzuführen und mich an dieser Maßnahme zu beteiligen.“

Bei Fehlern im Identifizierungsverfahren kann der Verteidiger die Identifizierung durch einen Beweisantrag auf sachverständige Überprüfung angreifen, z.B.: „Ich beantrage, zum Beweis der Tatsache, dass das angebliche Wiedererkennen meines Mandanten auf den Erwartungen des Zeugen … auf der Kenntnis des Fahndungsbildes, dem Wiedererkennen des Fahndungsbildes und der Nichtberücksichtigung von seiner Täterbeschreibung entsprechenden Alternativpersonen in Form einer Wahllichtbildvorlage oder Wahlgegenüberstellung beruht, nicht jedoch einem wirklichen Wiedererkennen meines Mandanten als den Täter, Herrn … als Sachverständigen zu vernehmen. Ich beantrage zudem vorsorglich, die Vernehmung des Zeugen … in der Hauptverhandlung in Gegenwart dieses Sachverständigen durchzuführen.“

Kommt das Gericht dem Antrag nicht nach, kann der Verteidiger überlegen, den Sachverständigen im Selbstladeverfahren zu laden.

Rechtsanwalt Tobias Goldkamp
Fachanwalt für Erbrecht
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Rechtsberatung:

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