Identifizierung durch Zeugen: Urteil muss Wahllichtbildvorlage darlegen
Rechtsanwalt Tobias Goldkamp am 15. September 2018Beruht eine Verurteilung darauf, dass ein Zeuge den Täter wiedererkannt habe, so muss das Urteil nachvollziehen lassen, dass eine ordnungsgemäße Wahllichtbildvorlage oder Wahlgegenüberstellung durchgeführt wurde und welchen Beweiswert der Tatrichter ihr zugemessen hat.
Es reicht in der Regel nicht aus, dass der Angeklagte dem Zeugen im Gerichtssaal vorgestellt wurde.
Das OLG Zweibrücken fasst wesentliche Grundsätze zur Identifizierung im Beschluss vom 31. August 2018 – 1 OLG 2 Ss 29/18 – zusammen:
Gegen die Erwägungen des Landgerichts zum Wiedererkennen des Angeklagten durch die Zeugen im Rahmen der Beweiswürdigung bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken. Den Urteilsgründen kann insoweit jeweils lediglich entnommen werden, dass die vorgenannten Zeugen den Angeklagten „im Rahmen der von der Polizei durchgeführten Wahllichtbildvorlage identifiziert“ haben; weitere konkretisierende Angaben zur Zusammenstellung der Wahllichtbildvorlage(n), deren Ablauf und zu den Äußerungen der Zeugen hierzu enthält das Berufungsurteil jedoch nicht. Entsprechende Ausführungen wären aber aus Rechtsgründen erforderlich gewesen.
Der Tatrichter muss jedenfalls dann, wenn eine Lichtbildvorlage von ausschlaggebender Bedeutung für die Beweiswürdigung ist, im Urteil in revisionsrechtlich überprüfbarer Weise erkennen lassen, ob diese ordnungsgemäß erfolgt ist und welcher Beweiswert ihr zukommt (BGH, Beschlüsse vom 27.02.1996 – 4 StR 6/96, juris Rn. 9 und vom 22.11.2017 – 4 StR 468/17, juris Rn. 4; OLG Koblenz, Beschluss vom 10.06.2015 – 1 Ss 188/13, juris Rn. 9 m.w.N.). Hat ein Zeuge – wie hier – den ihm vorher unbekannten Täter anlässlich der Tat zudem nur kurze Zeit beobachten können, kann sich der Tatrichter nicht ohne weiteres auf eine subjektive Gewissheit des Zeugen beim (ersten) Wiedererkennen verlassen. Er muss vielmehr anhand objektiver Kriterien nachprüfen, welche Beweisqualität dieses Wiedererkennen hat. Hierbei ist in einer aus dem Urteil ersichtlichen Weise die zwecks Identifizierung erfolgte Beweiserhebung im Einzelnen nachzuvollziehen und insbesondere zu untersuchen, ob den in Nr. 18 S. 2 RiStBV niedergelegten Grundsätzen einer Wahlbildvorlage entsprochen wurde oder inwieweit gegebenenfalls die Gefahr einer – unter Umständen unbewussten – Beeinflussung des Zeugen durch sachfremde, das Beweisergebnis verfälschende äußere Umstände besteht (OLG Rostock, Beschluss vom 29.03.1996 – 1 Ss 217/95 I 7/96, StV 1006, 419; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.11.2000 – 2a Ss 328/00, NStZ-RR 2001, 109). Diesen Darstellungsanforderungen wird das angefochtene Urteil nicht vollumfänglich gerecht; der Senat kann daher nicht prüfen, ob das Landgericht den Beweiswert des Wiedererkennens zutreffend erfasst und gewürdigt hat.
1.
Offen bleibt bereits, ob bei der Durchführung der Wahllichtbildvorlage die (Mindest-)Anforderungen der RiStBV (dort Nr. 18 Abs. 1 und 3) eingehalten wurden. Danach sollen Zeugen im Rahmen der Wahllichtbildvorlage mindestens acht Personen gezeigt werden, wobei Vergleichspersonen gleichen Geschlechts, ähnlichen Alters und ähnlicher Erscheinung auszuwählen sind und aus der gewählten Form nicht erkennbar werden darf, wer von den Gegenübergestellten der Beschuldigte ist. Der Beweiswert des Wiedererkennens kann insbesondere dadurch geschmälert sein, wenn das den Angeklagten zeigende Bild eine andere Größe und/oder Tönung als die Vergleichsbilder hat BGH, Urteil vom 19. November 1997 – 2 StR 470/97, juris Rn. 4). Auch hat der Tatrichter zu beachten und zu würden, dass einer sequentiellen Lichtbildvorlage im Regelfall ein höherer Beweiswert beizumessen ist, als einer simultanen (vgl. BGH, Beschluss vom 09.11.2011 – 1 StR 524/11, JR 2012, 167 mit Anm. Eisenberg).
Entsprechende Ausführungen können zwar ggfs. entbehrlich sein, wenn der Tatrichter in den schriftlichen Urteilsgründen in verfahrensrechtlich beachtlicher Weise auf die in den Akten befindlichen Lichtbilder der Vorlage verweist (§ 267 Abs. 1 S. 3 StPO), weil diese dann dem Revisionsgericht als Anschauungsobjekte zur Verfügung stehen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 267 Rn. 10; s.a. OLG Koblenz, Beschluss vom 10. Juni 2015 – 1 Ss 188/13, juris Rn. 9). An einer wirksamen Bezugnahme fehlt es hier jedoch. Soweit das Berufungsgericht hinsichtlich der Zeugen … in einem Klammerzusatz auf Aktenseiten verwiesen hat – hinsichtlich des Zeugen … fehlt ein solcher Zusatz – liegt darin kein wirksamer Einbezug. Will der Tatrichter bei der Abfassung der Urteilsgründe i.S.v. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO auf eine bei den Akten befindliche Abbildung verweisen, so hat er dies deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck zu bringen (BGH, Beschluss vom 19.12.1995 – 4 StR 170/95, NJW 1996, 1420, 1421). Darüber, ob der Tatrichter deutlich und zweifelsfrei erklärt hat, er wolle die Abbildung zum Bestandteil der Urteilsgründe machen, ist stets im Einzelfall unter Heranziehung seiner Darlegungen insgesamt zu entscheiden. Insoweit gilt nichts anderes als für die Feststellungen und Wertungen des Tatrichters im Übrigen, die, um rechtlich Bestand zu haben, ebenfalls die Gebote der Eindeutigkeit und der Bestimmtheit wahren müssen (BGH, Urteil vom 28.01.2016 – 3 StR 425/15, NStZ-RR 2016, 178). Hierbei kann es ausreichen, wenn der Tatrichter im Rahmen der Nennung und inhaltlichen Erörterung der Abbildung durch einen Klammerzusatz mit genauer Fundstelle kenntlich macht, dass er die Abbildung zum Gegenstand der Urteilsgründe machen will (BGH aaO.). Davon, dass das Berufungsgericht durch die jeweiligen Klammerzusätze die den Zeugen vorgehaltenen Lichtbildmappen zum Gegenstand der schriftlichen Urteilsgründe machen wollte, kann hier jedoch nicht zweifelsfrei ausgegangen werden. Zum einen hat das Landgericht keine inhaltliche Beschreibung bzw. Erörterung der Bilder vorgenommen, was als Indiz für einen – ergänzenden – Einbezug gewertet werden könnte. Zum anderen finden sich an mehreren Stellen der Urteilsgründe vergleichbare Verweise auf Aktenseiten, obwohl diese sich nicht mit Abbildungen, sondern mit Urkunden bzw. Vernehmungsprotokollen befassen. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, dass das Tatgericht durch die Klammerzusätze lediglich – in rechtlich nicht gebotener Weise – auf Belegstellen in den Akten hinweisen wollte. Hierin kann eine Verweisung i.S.d. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO nicht gesehen werden.
2.
Aber selbst wenn man in den Klammerzusätzen eine wirksame Bezugnahme i.S.v. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO sähe, wären weitere Ausführungen zur Zusammenstellung und zum Ablauf der Wahllichtbildvorlage dadurch nicht entbehrlich geworden. Denn auch dann bliebe offen, aufgrund welcher Merkmale diese zusammengestellt worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 19.11.1997 – 2 StR 470/97, juris Rn. 4), wie die polizeiliche Lichtbildvorlage im Einzelnen durchgeführt worden ist, anhand welcher Merkmale die Zeugen den Angeklagten als den Täter wiedererkannt haben und welcher Beweiswert dem jeweiligen Wiedererkennen im Hinblick auf diese Beweisumstände beizumessen ist (vgl. BGH, Urteil vom 13.02.2003 – 3 StR 430/02, NStZ 2003, 493; Beschluss vom 01.10.2008 – 5 StR 439/08, juris Rn. 8).
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