Abgrenzung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit
Rechtsanwalt Tobias Goldkamp am 25. September 2012Strafbar ist nur vorsätzliches Handeln, es sei denn, das Gesetz bestimmt ausdrücklich, dass auch fahrlässiges Handeln strafbar ist (§ 15 Strafgesetzbuch). Nach der Definition des Bundesgerichtshofs setzt Vorsatz voraus, „dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet“ (Urteil vom 22.03.2012, 4 StR 558/11).
Demgegenüber handelt ein Täter nicht vorsätzlich, sondern nur fahrlässig, wenn er trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat „ernsthaft und nicht nur vage“ auf ein Ausbleiben des Taterfolges vertraut.
Problematisch an diesen Definitionen des bedingten Vorsatzes, auch Eventualvorsatz genannt, und der bewussten Fahrlässigkeit ist, dass sie überlappen: Der Täter kann den Tod des Opfers in Kauf nehmen, zugleich jedoch darauf vertrauen, dass das Opfer überlebt (Leitmeier, NJW 2012, 2850, 2852).
Es stellt sich die Frage, ob in einem solchen Fall von einer vorsätzlichen oder einer fahrlässigen Begehungsweise auszugehen ist. Der Grundsatz in dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten, hilft dabei nicht weiter, weil er nur in Bezug auf Unklarheiten des Sachverhalts, nicht jedoch auf rechtliche Unklarheiten anwendbar ist (Leitmeier, a.a.O.).
Die Definition der Eintrittswahrscheinlichkeit als „möglich und nicht ganz fernliegend“ deutet darauf hin, dass eine Wahrscheinlichkeit unter 50 % ausreicht. Auch ein Taterfolg, dessen Eintritt mit einer Wahrscheinlichkeit von 10 % zu erwarten ist, wird noch als „möglich und nicht ganz fernliegend“ bezeichnet werden können.
Umgekehrt wird ein „ernsthaftes und nicht nur vages“ Vertrauen darauf, dass der Taterfolg nicht eintritt, voraussetzen, dass der Täter mit hoher Wahrscheinlichkeit – mehr als 90 % – davon ausgeht, dass der Taterfolg nicht eintritt.
Gleichwohl kann auch in Fällen, in denen der Täter von einer Eintrittswahrscheinlichkeit von 10 % oder mehr rechnet, noch von Fahrlässigkeit und nicht von Vorsatz auszugehen sein, wenn nämlich der Täter den Eintritt des Taterfolgs nicht billigt und sich nicht mit dem Taterfolg abfindet.
Da der Vorsatz nach der eigenen Definition des BGH voraussetzt, dass der Täter den Taterfolg billigt oder sich zumindest mit dem Taterfolg abfindet, muss dem Täter diese Billigung nachgewiesen werden.
Zwar kann von äußeren Merkmalen des Tathandelns auf die inneren Vorstellungen des Täters geschlussfolgert werden. Doch darf nicht der Fehler begangen werden, von einer Begehensweise, die mit einer Wahrscheinlichkeit von 10 % oder mehr zum Erfolgseintritt führt, auf eine Billigung des Täters zu schlussfolgern. Denn die Billigung ist nicht ein Parallelstück zum in Kauf nehmen, sondern eine zusätzlich einschränkende Voraussetzung („billigend in Kauf nehmen“).
Die Billigung erfordert nach der Definition des BGH keine Befürwortung oder sonstwie positive Einstellung zum Taterfolg. Es reicht aus, dass der Täter sich mit dem Eintritt des Taterfolgs „abfindet“.
Der Unterschied, die Gefahr des Taterfolgs zu erkennen und trotzdem weiter zu machen (bewusste Fahrlässigkeit) und sich mit dem Taterfolg abzufinden (bedingter Vorsatz) erscheint marginal und wirft in der gerichtlichen Praxis Schwierigkeiten auf. Immerhin kann der Täter sich an dieser Stelle wieder auf den Grundsatz in dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten – berufen, wenn seine innere Haltung nicht eindeutig klärbar ist.
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