Urkundenprozess mit Kopie
Rechtsanwalt Tobias Goldkamp am 19. Dezember 2019Ist Widerstand des Schuldners zu erwarten, kann der Urkundenprozess der schnellste Weg sein, um ein vollstreckbares Urteil zu erhalten.
Der Fall
Die Klägerin lieferte zweimal Dieseltreibstoff an die Beklagte. Auf den beiden Lieferscheinen ist jeweils als Liefermenge gemäß der Anzeige der Tankuhr am Lkw der Klägerin eine Treibstoffmenge in Liter abgedruckt. Die Klägerin verklagte die Beklagte auf Zahlung der sich aus den beiden Lieferscheinen ergebenden Treibstoffmengen. Sie fügte der Klage Kopien der beiden Lieferscheine und der beiden darauf erstellten Rechnungen bei.
Die Beklagte meint, der Urkundenprozess sei unstatthaft, da keine bzw. nicht genügend Urkunden vorlägen.
Das Landgericht wies die Klage als im Urkundenprozess unstatthaft ab. Es meinte, es fehle an den erforderlichen Urkunden. Es seien nicht sämtliche anspruchsbegründenden Tatsachen urkundlich belegt. Den Kopien der Lieferscheine komme keine Urkundenqualität zu.
Das Oberlandesgericht änderte das Urteil und gab der Klage statt (OLG München, Urteil vom 21.11.2019 – 23 U 4170/18). Die Leitsätze der Entscheidung lauten:
- Die Statthaftigkeit des Urkundenverfahrens gemäß § 592 ZPO erfordert keinen lückenlosen Urkundenbeweis; nicht beweisbedürftige, weil etwa unstreitige Tatsachen, brauchen, von dem Fall der Säumnis gemäß § 597 Abs. 2 ZPO abgesehen, nicht urkundlich belegt zu werden.
- Begriffsnotwendig erfordert ein Urkundenprozess allerdings die Vorlage zumindest einer Urkunde. Dieser Urkundenbeweis kann jedenfalls dann schon durch Vorlage einer Kopie angetreten werden, wenn die Echtheit und die Übereinstimmung der Kopie mit dem Original unstreitig sind.
- Eine einseitige Teilerledigungserklärung lässt die Zulässigkeit des Urkundenverfahrens nicht entfallen; ggf. ist ein Vorbehaltserledigungsurteil zu erlassen.
- Erlässt erstmals das Berufungsgericht ein Vorbehaltsurteil, so kann es auf Antrag einer Partei den Rechtsstreit für das Nachverfahren gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 5 ZPO analog an die erste Instanz zurückverweisen.
Urkunden nur für beweisbedürftige Tatsachen
Wie im ordentlichen Verfahren gilt im Urkundenprozess, dass ein Beweismittel nur für solche Tatsachen angeboten werden muss, die entscheidungserheblich und streitig sind und für die die jeweilige Partei die Beweislast trägt. Das Oberlandesgericht führt dazu aus:
„Gemäß dem Wortlaut des § 592 Satz 1 letzter Halbsatz ZPO ist es zwar erforderlich, dass sämtliche zur Begründung des Anspruchs erforderlichen Tatsachen durch Urkunden bewiesen werden können. Das erfordert indes nach herrschender Meinung, der sich der Senat anschließt, keinen lückenlosen Urkundenbeweis; nicht beweisbedürftige, weil etwa unstreitige Tatsachen brauchen, von dem Fall der Säumnis gemäß § 597 Abs. 2 ZPO abgesehen, nicht urkundlich belegt zu werden (BGH NJW 2015, 475 Rn. 14; OLG Düsseldorf BeckRS 2016, 7922 Rn. 37; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 40. Aufl. 2019, § 592 Rn. 6; Saenger/Siebert, ZPO, 8. Aufl. 2019, § 592 Rn. 4; Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 592 Rn. 11; Tunze JuS 2017, 1073, 1075; aA OLG Schleswig NJW 2014, 945, 946).“
Mindestens eine Urkunde notwendig?
Das Oberlandesgericht folgt ohne weitere Begründung der herrschenden Meinung, der Urkundenprozess erfordere „begriffsnotwendig“, dass der Kläger mindestens eine anspruchsbegründende Urkunde vorlegt.
Ich bin anderer Ansicht. Wird keine Urkunde vorgelegt, weil alle anspruchsbegründenden Tatsachen unstreitig sind, etwa weil die Parteien nur über Rechtsfragen streiten, liegt die Bedeutung der Wahl des Urkundenprozesses darin, dem Beklagten zu verwehren, den Rechtsstreit durch nichturkundlich unter Beweis gestellten streitigen Gegenvortrag zu einer angeblichen Gegenforderung zu verzögern, die zur Aufrechnung gestellt werden soll oder aus der ein Zurückbehaltungsrecht abgeleitet werden soll. Der Urkundenprozess definiert sich nicht durch die Vorlage einer Urkunde, sondern durch die Beschränkung auf Urkunden.
Kopie kann genügen
Grundsätzlich wird der Urkundenbeweis durch Vorlage der Originalurkunde angetreten (§ 420 ZPO). Sind die Echtheit der Urkunde und die Übereinstimmung der Kopie mit dem Original unstreitig, genügt es, die Kopie vorzulegen, so das Oberlandesgericht:
„Urkunde ist eine schriftlich verkörperte Gedankenerklärung, die den Aussteller erkennen lässt, ohne dass dazu eine Unterschrift zwingend erforderlich ist (BeckOK ZPO/Kratz, 34. Ed. 2019, § 592 Rn. 26; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 40. Aufl. 2019, Vor § 415 Rn. 1; Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 592 Rn. 15).
Die Vorlage einer Kopie reicht dabei grundsätzlich aus (Musielak/Voit/Voit, ZPO, 16. Aufl. 2019, § 592 Rn. 27; Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, Rn. 27). Das gilt jedenfalls dann, wenn die Echtheit und die Übereinstimmung mit dem Original unstreitig sind (BeckOK ZPO/Kratz, 34. Ed. 2019, § 592 Rn. 27; Musielak/Voit/Voit, ZPO, 16. Aufl. 2019, § 592 Rn. 11; Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 595 Rn. 9 iVm § 435 Rn. 1). Diese Sichtweise ist unmittelbar einleuchtend, wenn man bereits in der Kopie selber eine Urkunde sieht (so Musielak aaO). Im Ergebnis nichts anderes ergibt sich aus der Gegenansicht, wonach zwar nur das Original eine Urkunde sei (Zöller/Geimer, ZPO, 32. Aufl. 2018, Vor § 415 Rn. 2), jedoch für den Beweisantritt bei unstreitiger Echtheit die Vorlage der Abschrift genüge (so Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 595 Rn. 9 iVm § 435 Rn. 1). Entscheidend ist letztlich, dass die unstreitig echte Kopie ein Schriftstück ist, das der (freien) Beweiswürdigung gemäß § 286 ZPO zugänglich ist (MüKoZPO/Schreiber, ZPO, 5. Aufl. 2016, § 416 Rn. 10 a.E.; für die beglaubigte Abschrift auch BGH NJW 1980, 1047, 1048); damit genügt es den Grundanforderungen an einen Beweis im Urkundenverfahren.“
Urkundenprozess bleibt nach einseitiger Teilerledigungserklärung zulässig
In der Literatur ist umstritten, ob der Urkundenprozess nach einseitiger Erledigungserklärung zulässig bleibt.
Nach § 592 Abs. 1 ZPO kann Gegenstand eines Urkundenprozesses nur die Zahlung einer bestimmten Geldsumme oder die Leistung einer bestimmten Menge anderer vertretbarer Sachen oder Wertpapiere sein, also ein Leistungsantrag. Die einseitige Erledigungserklärung stellt hingegen einen Feststellungsantrag dar.
Das Oberlandesgericht folgt jedenfalls für den Fall einer nur teilweisen Erledigungserklärung der Literaturansicht, die den Urkundenprozess für weiter zulässig hält. Zur Begründung führt es aus, dass anderenfalls der Beklagte es in der Hand hätte, das Verfahren durch eine Teilerfüllung zu torpedieren, mit der er den Kläger zwinge, entweder auf den Beschleunigungseffekt des Urkundenprozesses zu verzichten oder eine negative Kostenfolge in Kauf zu nehmen.
Zurückverweisung für das Nachverfahren?
Das Oberlandesgericht erließ ein Vorbehaltsurteil, aus dem die Klägerin ohne Sicherheitsleistung die Zwangsvollstreckung betreiben kann (§ 708 Nr. 5 ZPO). Diese Möglichkeit stellt einen zentralen Vorteil des Urkundenprozesses dar. Bestreitet der Beklagte den Anspruchsgrund und kann der Kläger die erforderlichen Tatsachen durch Urkunden beweisen, bietet der Urkundenprozess den schnellsten Weg in die Zwangsvollstreckung.
Allerdings ist dem Beklagten die Ausführung seiner Rechte im Nachverfahren vorzubehalten, wenn er dem geltend gemachten Anspruch widersprochen hat (§ 599 Abs. 1 ZPO).
Das Oberlandesgericht folgt der Kommentarliteratur, dass des Berufungsgericht den Rechtsstreit für das Nachverfahren an das erstinstanzliche Gericht zurückverweisen kann, wenn eine Partei dies beantragt. Auf diese Weise bleibt den Parteien gegen das im Nachverfahren ausgesprochene Urteil wiederum die Berufung.
Das Oberlandesgericht führt dazu aus:
„Nach Ansicht des Senats war es sachgerecht, die Sache zur Durchführung des Nachverfahrens auf den Antrag der Beklagten vom 17.10.2019 (Bl. 92 der Akte) hin an das Ausgangsgericht zurückzuverweisen, um die Klärung der maßgeblichen Fragen in einem erstinstanzlichen Prozess zu ermöglichen. Die Rechtsgrundlage dafür ergibt sich aus § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 ZPO analog (BeckOK ZPO/Kratz, 34. Ed. 2019, § 600 Rn. 3; MüKoZPO/Rimmelspacher, 5. Aufl. 2016, § 538 Rn. 68; Musielak/Voit/Ball, ZPO, 16. Aufl. 2019, § 538 Rn. 32).“
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