Allgemeines Zivilrecht

Stillstand der Rechtspflege durch Corona-Virus?

Rechtsanwalt Tobias Goldkamp am 28. Februar 2020

Die Amtsgerichte Erkelenz, Geilenkirchen und Heinsberg haben nach Pressemeldungen wegen des Corona-Virus den Publikumsverkehr zeitweise eingestellt. Auch Sitzungstermine sollen aufgehoben worden sein. Droht Stillstand der Rechtspflege?

Störungen im Gerichtsbetrieb

Auf der Internetseite des Amtsgerichts Erkelenz stand am 28.02.2020 um 9:00 Uhr:

„In Erkelenz sind Fälle des Coronavirus aufgetreten. Um eine Ausbreitung des Virus zu vermeiden bleibt das Amtsgericht bis zum 02.03.2020 einschließlich grundsätzlich für die Öffentlichkeit geschlossen. Der Sitzungsbetrieb findet nicht statt. Für besonders dringliche Fälle ist ein Bereitschaftsdienst eingerichtet.“

Welche gesetzlichen Regelungen gelten?

Bei Störungen der Rechtspflege gelten folgende gesetzliche Regelungen:

§ 206 BGB Hemmung der Verjährung bei höherer Gewalt

Die Verjährung ist gehemmt, solange der Gläubiger innerhalb der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist durch höhere Gewalt an der Rechtsverfolgung gehindert ist.

§ 36 ZPO Gerichtliche Bestimmung der Zuständigkeit

(1) Das zuständige Gericht wird durch das im Rechtszug zunächst höhere Gericht bestimmt:
1. wenn das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Fall an der Ausübung des Richteramtes rechtlich oder tatsächlich verhindert ist; […]

§ 245 ZPO Unterbrechung durch Stillstand der Rechtspflege

Hört infolge eines Krieges oder eines anderen Ereignisses die Tätigkeit des Gerichts auf, so wird für die Dauer dieses Zustandes das Verfahren unterbrochen.

§ 247 ZPO Aussetzung bei abgeschnittenem Verkehr

Hält sich eine Partei an einem Ort auf, der durch obrigkeitliche Anordnung oder durch Krieg oder durch andere Zufälle von dem Verkehr mit dem Prozessgericht abgeschnitten ist, so kann das Gericht auch von Amts wegen die Aussetzung des Verfahrens bis zur Beseitigung des Hindernisses anordnen.

Was bedeuten diese Regelungen?

Die Hemmung der Verjährung wegen höherer Gewalt (§ 206 BGB) bedeutet, dass die Verjährungsuhr angehalten wird, solange der Anspruchsinhaber durch Umstände, an denen er nicht schuld ist, gehindert ist, seinen Anspruch zu verfolgen.

Ansprüche – also das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen – unterliegen der Verjährung (§ 194 Abs. 1 BGB). In der Regel beträgt die Verjährungsfrist drei Jahre (§ 195 BGB).

Höhere Gewalt liegt nur vor, solange der Anspruchsinhaber auch bei äußerster, nach den Umständen vernünftigerweise zu erwartender Sorgfalt an der Rechtsverfolgung gehindert ist. Sind der Anspruchsinhaber oder dessen Rechtsanwalt daran mitschuld, sei es auch in geringem Maße, liegt keine höhere Gewalt vor (Lakkis in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 8. Aufl., § 206 BGB (Stand: 26.06.2019), Rn. 2).

Deshalb ist Anspruchsinhabern zu empfehlen, sich nicht auf eine Hemmung durch höhere Gewalt zu verlassen, sondern alles zu unternehmen, um die Verfolgung des Anspruchs auch für den Fall sicherzustellen, dass es z.B. zu Quarantänemaßnahmen infolge des Corona-Virus kommt.

Die Regelungen zur gerichtlichen Bestimmung der Zuständigkeit (§ 36 ZPO) und zum Stillstand der Rechtspflege (§ 245 ZPO) greifen nur ein, wenn die Organisation des betreffenden Gerichts auf nicht absehbare Zeit lahmgelegt ist (Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 245 ZPO, Rn. 1). Hierzu reichen eine vorübergehende Schließung des Gerichts oder die Verlegung von Terminen nicht aus.

Die Aussetzung bei abgeschnittenem Verkehr (§ 247 ZPO) ist möglich, wenn eine Partei aus von ihr nicht zu vertretenden objektiven Gründen an der Ausübung ihrer prozessualen Rechte gehindert ist (Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 247 ZPO, Rn. 2). Zu diesen Rechten gehört, sich in der mündlichen Verhandlung zu äußern (§ 137 Abs. 4 ZPO). Ist eine Partei z.B. durch eine Quarantänemaßnahme am Erscheinen in der mündlichen Verhandlung gehindert, muss das Gericht den Termin verlegen oder das Verfahren aussetzen, um der Partei rechtliches Gehör zu gewähren (Art. 103 GG).

Anders als ein bloßes Ruhen des Verfahrens führt die Aussetzung des Verfahrens dazu, dass die Verjährungsfrist gehemmt bleibt, auch wenn die Parteien keine Prozesshandlungen vornehmen.

Allerdings greift § 247 ZPO nicht, wenn nur der Rechtsanwalt der Partei abgeschnitten ist. Ist nur der Rechtsanwalt von einer Quarantänemaßnahme betroffen, ist das kein Grund, das Verfahren auszusetzen. Jedoch muss das Gericht in einem solchen Fall in der Regel den Termin verlegen.

Rechtsanwalt Tobias Goldkamp
Fachanwalt für Erbrecht
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Rechtsberatung:

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