Identifizierung bei Verkehrsstraftaten
Rechtsanwalt Tobias Goldkamp am 3. Dezember 2018Bei Straftaten im Straßenverkehr kann der Täter oft nicht gerichtsfest identifiziert werden, weil die Zeugenaussagen zu unzuverlässig sind.
Bei Verkehrsstraftaten wie der Gefährdung des Straßenverkehrs, unerlaubtem Entfernen vom Unfallort, Nötigung oder Beleidigung besteht die größte Hürde zu einer Verurteilung darin, den Fahrer zu ermitteln.
Oft gelingt es der Polizei, diese Hürde zu nehmen, weil sie die Halteranschrift aufsucht und dort bereitwillig Auskunft erteilt wird, wer das Fahrzeug gefahren hat. Dabei stehen dem Fahrer und seinen nahen Angehörigen ein Schweigerecht bzw. Auskunftsverweigerungsrecht zu, über das die Polizei belehren muss. Hier gilt aus Sicht des Beschuldigten das Sprichwort „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.“
Bleiben nur Tatzeugen zur Identifizierung, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass bewiesen werden kann, wer der Fahrer war. Die Aussage von Zeugen ist zur Identifizierung sehr unzuverlässig.
Die Wahrnehmungsbedingungen bei Straftaten im Straßenverkehr sind meist schlecht:
- Der Fokus des Betrachters ist bei Vorgängen im Straßenverkehr eher auf das Fahrzeug gerichtet als auf die Insassen.
- Der Fahrer ist durch die Spiegelung und Tönung der Fahrzeugscheiben schlecht erkennbar.
- Das Fahrzeuginnere kann durch den vom Dach geworfenen Schatten dunkler sein als die äußere Umgebung.
- Sonnenblende, Sonnenbrille, Sitze und Fahrzeugsäulen können den Blick auf den Fahrer verstellen.
- Die Wahrnehmungsdauer kann bei fahrenden Fahrzeugen kurz sein.
Kann der Zeuge dennoch eine verwertbare Beschreibung liefern, ist es erforderlich, den Fahrer durch eine Wahllichtbildvorlage oder Wahlgegenüberstellung zu identifizieren. Dabei müssen dem Zeugen nacheinander mindestens acht Vergleichspersonen präsentiert werden.
In vielen Strafverfahren verstreicht zu viel Zeit, so dass die Erinnerung des Zeugen verblasst.
Zudem ist der Zeuge durch psychologische Effekte beeinflusst. Beispielsweise wollen die meisten Zeugen helfen und neigen deshalb dazu, denjenigen zu belasten, der ihnen als Verdächtiger oder Angeklagter präsentiert wird.
Ein Beispiel für eine fehlgeschlagene Identifizierung zeigt das Urteil des Landgerichts Frankfurt a.M. vom 01.12.2016 – 5/8 Kls 4690 Js 215349/15(1/16):
Zwar passen die Angaben des Zeugen AB zum Kennzeichen des Autos, den der Angeklagte am … bei der unter I. Ziffer 2 festgestellten Tat fuhr, jedoch handelt es sich bei dem Fahrzeug um einen Mietwagen, der somit auch von anderen Personen als dem Angeklagten gefahren wird und die Kammer konnte keine Feststellungen dahingehend treffen, dass der Mietwagen am … an den Angeklagten vermietet worden war.
Zudem waren die Angaben des Zeugen AB zu einem (Wieder-)Erkennen des Fahrers des Autos am … widersprüchlich.
Während der Zeuge AB im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung vom … angab, er habe den Fahrer „maximal im Profil“ sehen können und er bei der Wahllichtbildvorlage angab, „am nächsten kommt die Person auf dem Bild Nr. 2“, welches den Angeklagten zeigt, gab der Zeuge in der Hauptverhandlung hingegen an, den Fahrer auch von vorne gesehen zu haben und absolut überzeugt davon zu sein, dass es sich bei dem Fahrer um den Angeklagten handele.
Auf Vorhalt seiner Angaben bei der polizeilichen Vernehmung gab der Zeuge AB an, dass diese zutreffend protokolliert worden seien, er sich heute beim Anblick des Angeklagten in der Hauptverhandlung aber sicher sei, dass dieser die Person gewesen sei, die er als Fahrer im Auto gesehen habe.
Der Zeuge AB begründete seine Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Angeklagten im Rahmen seiner Aussage in der Hauptverhandlung weiter damit, dass er das Auto, das er im Rahmen des Vorfalls am … beobachtet habe, mit 99,99 prozentiger Sicherheit auf den Fotos, von dem Unfall am …, die er im Internet gesehen habe, wiedererkannt habe. Diesbezüglich gab er konkretisierend an, sofern es keine „hundertprozentige Dublette“ von dem von ihm am … beobachteten Auto gebe, handele es sich bei den Fahrzeugen vom … und … um ein und dasselbe Auto. Das von ihm am … beobachtete Auto sei in Details sehr auffällig, d.h. nicht serienmäßig, gewesen. Er habe keine herkömmliche Stoßstange, sondern eine komplett weiß lackierte Heckschürze gehabt und auch die Leichtmetallfelgen seien sehr auffällig gewesen.
Auf Vorhalt der Lichtbilder Bl. 84 der Akte, die den vom Angeklagten am … gefahrenen Autos von hinten, von der Seite und von vorne zeigen, gab der Zeuge AB an, dass der auf den Lichtbildern abgebildete Auto nicht seinen Erinnerungen an den Auto vom Vorfall am … entspreche, sondern eher ein neueres Modell sei, was er aus der Form der Rückleuchten ableite. Die Stoßstange des auf den Lichtbildern abgebildeten Autos sei ebenfalls anders als die auffällige Stoßstange des von ihm beobachteten Auto, denn die Heckschürze sei nicht komplett weiß lackiert, sondern unten schwarz und weise zudem Einbuchtungen rechts und links über den Auspuffen auf, während die ihm in Erinnerung gebliebene Heckschürze des Autos vom Vorfall am … einen komplett geraden Verlauf gehabt habe und zudem ganzflächig in weiß lackiert gewesen sei. Die Felgen des auf den Lichtbildern abgebildeten Auto seien vom Stil her denen des Autos vom … zwar ähnlich, aber letztere habe er eigentlich auffälliger in Erinnerung.
Nach Würdigung dieser Angaben des Zeugen AB bleiben bei der Kammer nicht ausräumbare Zweifel daran, dass der Angeklagte bei dem Vorfall am … der Fahrer des Autos war, denn zum einen ist es gedächtnispsychologisch nicht ohne weiteres erklärbar, dass der Zeuge AB bei der zeitlich deutlich näher am Vorfall liegenden Wahllichtbildvorlage den Angeklagten offenbar nicht sicher als Fahrer des Autos bezeichnen konnte, in der Hauptverhandlung hingegen, die mehr als eineinhalb Jahre nach dem Vorfall stattfand, nunmehr aber ganz sicher den Angeklagten als Fahrer wiedererkannt haben will. Ferner spricht gegen eine Beteiligung des am … verunfallten Auto am Vorfall des …, dass der Zeuge AB die von ihm als sehr speziell und markant beschriebenen Eigenschaften des Autos vom … auf den ihm vorgelegten Lichtbildern im Rahmen der Hauptverhandlung gerade nicht wiedererkannt hat, sondern im Gegenteil deutliche Differenzen aufgezeigt hat.
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