Zivilprozessrecht

Überspannte Anforderungen an Sachvortrag – Pflichten des Rechtsanwalts

Rechtsanwalt Tobias Goldkamp am 6. März 2020

Wer sich im Zivilprozess auf eine Rechtsfolge berufen will, muss die Tatsachen vortragen, die rechtlich zu dieser Folge führen. Gibt das Gericht durch einen Hinweis zu erkennen, den bisherigen Vortrag zu Unrecht für unzureichend zu halten, muss der Rechtsanwalt das Gericht auf die höchstrichterliche Rechtsprechung hinweisen.

Zu den Anforderungen an den Sachvortrag führt der BGH mit Beschluss vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19 –, Rn. 7-8, juris, aus:

„aa) Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2014 – VIII ZR 88/13, NJW 2015, 934 Rn. 43; Beschlüsse vom 28. Februar 2012 – VIII ZR 124/11, WuM 2012, 311 Rn. 6 mwN; vom 26. März 2019 – VI ZR 163/17, VersR 2019, 835 Rn. 11 mwN). Das gilt insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den Vorgängen hat (BGH, Beschluss vom 12. September 2012 – IV ZR 52/14, NJW-RR 2017, 22 Rn. 27). Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 28. Februar 2012 – VIII ZR 124/11, aaO mwN; vom 26. März 2019 – VI ZR 163/17, aaO). Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (st. Rspr; vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2014 – VIII ZR 88/13, aaO; Beschlüsse vom 28. Februar 2012 – VIII ZR 124/11, aaO; vom 26. März 2019 – VI ZR 163/17, aaO; jeweils mwN).

bb) Weiter ist es einer Partei grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 27. Mai 2003 – IX ZR 283/99, NJW-RR 2004, 337 unter II 1 mwN; Beschluss vom 9. November 2010 – VIII ZR 209/08, juris Rn. 15). Dies gilt insbesondere dann, wenn sie sich – wie hier der Kläger – nur auf vermutete Tatsachen stützen kann, weil sie mangels Sachkunde und Einblick in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten und verwendeten Fahrzeugmotors einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder -verminderung keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben kann (vgl. BGH, Beschluss vom 26. März 2016 – VI ZR 167/17, aaO Rn. 13). Eine Behauptung ist erst dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 27. Mai 2003 – IX ZR 283/99, aaO; vom 26. Januar 2016 – II ZR 394/13, WM 2016, 974 Rn. 20; Beschlüsse vom 9. November 2010 – VIII ZR 209/08, aaO; vom 26. März 2019 – VI ZR 163/17, aaO Rn. 13; jeweils mwN). Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur beim Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte gerechtfertigt werden können (BGH, Urteil vom 27. Mai 2003 – IX ZR 283/99, aaO mwN).“

Erkennt der Rechtsanwalt, dass das Gericht zu hohe Anforderungen stellt, muss er dem aktiv entgegentreten (Rn. 14-17 des Beschlusses, zitiert nach juris:

„Jedoch ist der Kläger in der Revisionsinstanz wegen des allgemeinen Grundsatzes der Subsidiarität daran gehindert, die dem Berufungsgericht unterlaufene Gehörsverletzung geltend zu machen. Denn er hat auf den Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts, in dem dieses ausführlich dargelegt hat, dass es seinen Vortrag als unbeachtliche Behauptungen ‚ins Blaue hinein‘ einstuft und den angetretenen Sachverständigenbeweis als unzulässigen ‚Ausforschungsbeweis‘ bewertet, nicht Stellung genommen und damit keine Schritte unternommen, um den drohenden Gehörsverstoß zu verhindern.

1. Der Subsidiaritätsgrundsatz fordert, dass ein Beteiligter über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine solche zu verhindern (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 9. Februar 2011 – VIII ZR 285/09, WuM 2011, 178 Rn. 10; vom 14. Juni 2018 – III ZR 54/17, BGHZ 219, 77 Rn. 37; Beschlüsse vom 17. März 2016 – IX ZR 211/14, NJW-RR 2016, 699 Rn. 4; vom 16. Oktober 2018 – VIII ZR 225/17, juris; vom 28. März 2019 – IX ZR 147/18, ZInsO 2019, 1026 Rn. 4; jeweils mwN). Diese Würdigung entspricht dem in § 295 ZPO zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken, nach dessen Inhalt eine Partei eine Gehörsverletzung nicht mehr rügen kann, wenn sie die ihr nach Erkennen des Verstoßes verbliebene Möglichkeit zu einer Äußerung nicht genutzt hat (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 9. Februar 2011 – VIII ZR 285/09, aaO; vom 14. Juni 2018 – III ZR 54/17, aaO; Beschlüsse vom 17. März 2016 – IX ZR 211/14, aaO mwN; vom 28. März 2019 – IX ZR 147/18, aaO mwN). Entgegen der unter Verweis auf den Aufsatz des drittinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin (JZ 2017, 598, 604 f.) von der Nichtzulassungsbeschwerde vertretenen Ansicht ist der bei Grundrechtsverletzungen eingreifende Subsidiaritätsgrundsatz damit nicht auf das Verhältnis zwischen Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit beschränkt, sondern gilt auch dann, wenn im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde eine Grundrechtsverletzung, insbesondere eine Gehörsverletzung, gerügt wird.

2. Gemessen daran ist der Kläger mit der erstmaligen Geltendmachung einer Gehörsverletzung in der Revisionsinstanz ausgeschlossen. Die – von ihm nicht genutzte – Möglichkeit, auf den Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO Stellung zu nehmen, dient nach allgemeiner Auffassung dem Zweck, dem Berufungsführer das rechtliche Gehör zu gewähren (BGH, Beschluss vom 17. März 2016 – IX ZR 211/14, aaO Rn. 5 mwN). Diesem soll Gelegenheit gegeben werden, sich zu der vom Berufungsgericht beabsichtigten Zurückweisung seines Rechtsmittels zu äußern. Dieser Zweck der Vorschrift würde verfehlt, wenn man dem Berufungskläger die Wahl ließe, ob er eine Gehörsverletzung im Hinweisbeschluss innerhalb der ihm eingeräumten Frist zur Stellungnahme oder erst in einem sich anschließenden Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren rügt. Dies würde der mit der Einführung des § 522 ZPO bezweckten Beschleunigung des Verfahrens zuwiderlaufen und die rechtskräftige Entscheidung der Streitigkeit zulasten der in erster Instanz obsiegenden Partei verzögern (BGH, Beschluss vom 17. März 2016 – IX ZR 211/14, aaO).

Dem Kläger war durch das Vorgehen des Berufungsgerichts nach § 522 Abs. 2 ZPO die Möglichkeit eröffnet, dem Berufungsgericht auf dessen Hinweisbeschluss hin die oben eingehend dargestellte höchstrichterliche Rechtsprechung zu den strengen Anforderungen an eine unbeachtliche Behauptung ‚ins Blaue hinein‘ und zu einem unzulässigen ‚Ausforschungsbeweis‘ vor Augen zu führen und damit der nunmehr gerügten Gehörsverletzung entgegenzuwirken. Anders als die Nichtzulassungsbeschwerde meint, war vom anwaltlich vertretenen Kläger nicht nur zu verlangen, seinen Tatsachenvortrag erneut zu wiederholen. Vielmehr war er gehalten, der rechtsfehlerhaften Einschätzung des Berufungsgerichts mit rechtlichen Ausführungen entgegenzutreten.“

Rechtsanwalt Tobias Goldkamp
Fachanwalt für Erbrecht
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Rechtsberatung:

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