Erbrecht

Grundbucheinsicht beim Erbfall

Rechtsanwalt Tobias Goldkamp am 8. Juli 2019

Bei Streitigkeiten um das Erbe oder den Pflichtteil kann den Beteiligten ein Anspruch auf Einsicht in das Grundbuch und in die Grundakte (Grundstücksübertragungsverträge) zustehen, selbst wenn das betreffende Grundstück nicht zum Nachlass gehört.

Grundbucheinsichtsrecht von Pflichtteilsberechtigten

Um zu klären, inwieweit Pflichtteils- oder Pflichtteilsergänzungsansprüche bestehen, können Pflichtteilsberechtigte das Grundbuch und die Grundakte zu Grundstücken einsehen, die zum Nachlass gehören oder einst dem Erblasser gehörten und von ihm übertragen wurden.

Dazu führt das OLG München im Beschluss vom 7. November 2012 – 34 Wx 360/12 – aus:

„Es ist allgemein anerkannt, dass nach Eintritt des Erbfalls ein Pflichtteilsberechtigter – wozu die Beteiligte als Tochter des Erblassers zählt (§ 2303 Abs. 1 BGB) – in aller Regel ein berechtigtes Interesse an der Grundbucheinsicht zur Regelung der erbrechtlichen Ansprüche und insbesondere zur Geltendmachung von Pflichtteilsergänzungsansprüchen hat (vgl. hierzu KG NJW 2004, 1316; Schöner/Stöber Grundbuchrecht 15. Aufl. Rn. 525 m.w.N.; Hügel/Wilsch GBO 2. Aufl. § 12 Rn. 60). Dabei kann das Interesse sich nicht nur auf die Frage erstrecken, in welcher Höhe mögliche Ansprüche gegen Miterben bestehen. Können Pflichtteilsergänzungsansprüche entstanden sein, so ergibt sich das berechtigte Interesse an der Einsicht in Grundbuchblätter auch ehemaligen Grundeigentums des Erblassers allein schon zur Klärung, ob solche Ansprüche tatsächlich entstanden sind. Das Interesse umfasst auch die Einsicht in die Abteilungen II und III (OLG Düsseldorf FGPrax 2011, 58).“

Das OLG Karlsruhe entschied mit Beschluss vom 5. September 2013 – 11 Wx 57/13:

„Nach diesen Grundsätzen steht dem Pflichtteilsberechtigten nach dem Tode des Erblassers grundsätzlich ein Recht auf Grundbucheinsicht zu, das aus seiner Gläubigerstellung gegenüber den Erben folgt (vgl. etwa OLG München FamRZ 2013, 1070, juris-Rn. 8; ähnliche Konstellation bei LG Stuttgart ZEV 2005, 313, juris-Rn. 9; BeckOK/Wilsch, GBO, Edition 18, § 12, Rn. 60 m. w. N.; Demharter, GBO, 28. Auflage, § 12 Rn. 12; Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 15. Auflage, Rn. 525 [S. 249]). Das kann auch gelten, wenn der Erblasser das Grundstück noch zu Lebzeiten veräußert hatte; in diesem Falle hat er nämlich einen Pflichtteilsergänzungsanspruch, sofern die Veräußerung vollständig oder teilweise aufgrund einer Schenkung erfolgte (§ 2325 BGB; zur Anwendung dieser Vorschrift bei gemischten Schenkungen vgl. etwa BeckOK/J. Mayer, Edition 27, § 2325, Rn. 22).“

Es reicht aus, dass der Antragsteller gegenüber dem Grundbuchamt nachweist, dass er zum Kreis der gesetzlichen Erben gehört, so OLG Düsseldorf im Beschluss vom 4. Februar 2014 – I-3 Wx 15/14:

„Ein berechtigtes Interesse wirtschaftlicher Art an der Grundbucheinsicht steht in der Regel dem Pflichtteilsberechtigten zu, der nach dem Tode des im Grundbuch eingetragenen Erblassers (OLG München, NJOZ 2013, 2081; Wilsch in BeckOK-GBO Stand: 01.06.2013 § 12 Rdz. 60 mit Nachweisen; Griwotz, MDR 2013, 433, 434 f.) seine erbrechtlichen Ansprüche prüfen will. Dieses folgt aus der Gläubigerstellung des Pflichtteilsberechtigten bzw. Pflichtteilsergänzungsberechtigten gegenüber dem Erben (OLG München, FamRZ 2013, 1070; OLG Karlsruhe ZEV 2013, 621; vgl. auch NJW-Spezial 2013, 647 Wilsch in BeckOK-GBO Stand: 01.06.2013 § 12 Rdz. 60 mit Nachweisen; Griwotz, MDR 2013, 433, 434 f.).

Dabei genügt zur Darlegung des berechtigen Interesses der Hinweis auf die Stellung als gesetzlicher Erbe, ohne dass es einer schlüssigen Darlegung der etwa geltend zu machenden Pflichtteilsansprüche oder konkreter von der Grundbucheinsicht abhängender Entschließungen bedarf (so KG NJW-RR 2004, 1316); zu prüfen ist lediglich die Pflichtteilsberechtigung (Wilsch, a.a.O.; Böhringer ZfIR 2011, 710, 714).“

Es können auch beglaubigte Abschriften von Grundstücksübertragungsverträgen verlangt werden, entschied das LG Stuttgart mit Beschluss vom 9. Februar 2005 – 1 T 1/2005:

„Berechtigtes Interesse kann auch ein wirtschaftliches Interesse des Beschwerdeführers sein, das sich hier aus dem Pflichtteilsrecht ergibt (vgl. die beiden Beschlüsse der Kammer vom 5.9.1995 – 1 T 29/1995 – in NJW-RR 1996, 532 und vom 26.2.1998 – 1 T 1/1998 – in Rpfleger 1998, 339 sowie die Rechtsprechungsnachweise bei Demharter, GBO, 24. Aufl. 2002, § 12 Rn 9). Zwischen dem Beschwerdeführer als dem Alleinerben der Mutter und seiner Schwester als Pflichtteilsberechtigter am Nachlass der Mutter besteht ein erbrechtlich-schuldrechtliches Rechtsverhältnis aus Pflichtteilsrecht (§§ 2303 ff. BGB). Für die konkrete Ausgestaltung dieses Rechtsverhältnisses ist die Frage von Zuwendungen seitens der Erblasserin – der Mutter – an die Schwester von zentraler Bedeutung. Der in dem Kaufvertrag mit Dritten vereinbarte Kaufpreis kann Rückschlüsse auf den Wert des von der Mutter erworbenen Grundbesitzes auch zum Zeitpunkt des Erwerbs durch die Schwester zulassen und damit der Klärung der Frage dienen, ob eine unentgeltliche Zuwendung in dem bezeichneten Pflichtteilsrechtsverhältnis in Betracht kommt. Im Pflichtteilsrecht kann eine Schenkung der Erblasserin an einen Pflichtteilsberechtigten u.a. in den Fällen der §§ 2315, 2316, 2327 BGB von Bedeutung sein. Mit der Darlegung des Pflichtteilsrechtsverhältnisses und der beiden Veräußerungsvorgänge hat der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Einsicht in die Grundakten und an der Erteilung einer beglaubigten Abschrift in ausreichendem Maße dargelegt.

Gem. § 46 Abs. 3 Grundbuchverfügung kann er eine beglaubigte Abschrift der Kaufvertragsurkunde verlangen.“

Grundbucheinsichtsrecht von Miterben

Auch Miterben haben ein Recht, das Grundbuch zu zum Nachlass gehörenden Grundstücken einzusehen. Dieses Recht kann sich auch auf vom Erblasser übertragene Grundstücke erstrecken, also Grundstücke, die nicht zum Nachlass gehören, wenn Ausgleichungsansprüche zwischen Abkömmlingen in Betracht kommen, so das OLG München im Beschluss vom 11. Januar 2018 – 34 Wx 408/17:

„Einem testamentarischen (Mit-)Erben kann ein berechtigtes Interesse an der Grundbucheinsicht schon vor einer Grundbuchberichtigung zustehen, etwa zur Vorbereitung einer Erbauseinandersetzung nach § 2042 BGB oder zur Klärung von Ausgleichspflichten nach §§ 2050 ff BGB.“

Kommen Ausgleichsansprüche zwischen Geschwistern wegen lebzeitiger Vorempfänge in Betracht, liegt ein berechtigtes Interesse vor, zu vom Erblasser übertragenen Grundstücken Einsicht in das Grundbuch und in die Grundakte zu erhalten.

Das OLG Braunschweig führt im Beschluss vom 11. Juni 2019 – 1 W 41/19 – aus:

„Der Antragsteller ist Erbe der verstorbenen früheren Grundstückseigentümerin M. L. und befindet sich in einer Erbengemeinschaft mit seiner Schwester B. R., die das hier betroffene Grundstück zu Lebzeiten von M. L. erworben und sodann an die aktuelle Eigentümerin weiterveräußert hat. […]

(1) Der Antragsteller kann aus § 12 Abs. 1 S. 1 GBO einen vollständigen Grundbuchauszug verlangen. Sein berechtigtes Interesse erstreckt sich nicht lediglich auf das Bestandsverzeichnis und die Angaben in Abteilung I des Grundbuchs oder Teile davon, sondern auf die gesamten Eintragungen (vgl. OLG München, Beschluss vom 07. November 2012 – 34 Wx 360/12 –, Rn. 8 juris = FamRZ 2013, 1070–1071). Denn neben den Eigentumsverhältnissen ist für die Höhe der Zuwendung an B. R. auch von Bedeutung, ob und ggf. in welchem Umfang dingliche Belastungen übernommen oder neu begründet worden sind.

(2) Der Antragsteller hat zudem gemäß § 12 Abs. 3 Nr. 1 GBO i. V. m. § 46 Abs. 1, 3 GBV Anspruch auf eine beglaubigte Abschrift des Veräußerungsvertrages vom 21.03.2013 zwischen M. L. und ihrer Tochter B. R.. Der Veräußerungsvertrag vermag Aufschluss zu geben über schuldrechtliche Vereinbarungen, die nicht zum eigentlichen Grundbuchinhalt gehören, dessen Publizität § 12 Abs. 1 GBO sicherstellt, und die daher nicht dem Einsichtsrecht nach § 12 Abs. 1 S. 2 GBO unterliegen. Insofern ist das Interesse an der Grundbucheinsicht mit dem Recht des Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung abzuwägen (OLG München, Beschluss vom 27. Februar 2019 – 34 Wx 28/19 –, Rn. 14 juris). Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob durch die Einsichtnahme schutzwürdige Interessen der Eingetragenen oder ihrer Rechtsnachfolger verletzt werden können, um Unbefugten keinen Einblick in deren Rechts- und Vermögensverhältnisse zu gewähren (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 03. Dezember 1998 – 2Z BR 174/98 –, Rn. 13 juris = Rpfleger 1999, 216/217; OLG München, Beschluss vom 11. Januar 2018 – 34 Wx 408/17 –, Rn. 14 juris; Demharter, GBO31, § 12 Rn. 14). Es gilt auch deshalb ein strenger Maßstab, weil diese Beteiligten im Einsichtsverfahren nicht angehört werden (Hügel/Wilsch, GBO3, § 12 Rn. 25).

Bei Abwägung der maßgeblichen Umstände überwiegen hier die Interessen des Antragstellers. Schutzwürdige Belange der Miterbin B. R. stehen nicht entgegen, weil sie dem Antragsteller und den übrigen Erben gemäß § 2057 BGB ohnehin zur Auskunft über die erhaltenen Zuwendungen verpflichtet ist. Rechte der aktuellen Eigentümerin werden durch die Überlassung der Abschrift nicht tangiert, weil sie selbst nicht Vertragspartei des notariellen Vertrages vom 21.03.2013 war.

(3) Der Antragsteller kann schließlich gemäß § 46 Abs. 1, 3 GBV auch eine beglaubigte Abschrift des notariellen Kaufvertrages vom 13.11.2013 verlangen.

Der Anspruch ist von seinem Auskunftsbegehren gedeckt. Der Antrag vom 19.03.2018 (Bl. 139 d. A.) bezieht sich im Wortlaut zwar nur auf notarielle Verträge, die zu einem Eigentumswechsel von W. und/oder M. L. auf dritte Personen geführt haben. Damit wäre die Weiterveräußerung des Grundstücks von B. R. an die aktuelle Eigentümerin strenggenommen nicht erfasst. Doch wird aus der Begründung der Beschwerde deutlich, dass der Antragsteller ebenfalls Einsicht in den Kaufvertrag zwischen B. R. und der aktuellen Eigentümerin begehrt. Er möchte erfahren, zu welchem Kaufpreis B. R. das Grundstück veräußert hat, nachdem es ihr die Mutter übertragen hat.

Auf die Auslegung des Antrages kommt es im Ergebnis nicht an, weil in derselben Vertragsurkunde zugleich ein Veräußerungsgeschäft von M. L. beurkundet wird. M. L. hat mit dem notariellen Vertrag vom 13.11.2013 ein angrenzendes Flurstück, das nunmehr unter lfd. Nr. 3 im Bestandsverzeichnis des hier betroffenen Grundbuchblattes geführt wird, an die aktuelle Eigentümerin verkauft.

Das berechtigte Interesse des Antragstellers an der Einsicht in den Vertrag überwiegt die schützenswerten Belange der Erwerberin des Grundstücks. Die Einsicht in den Vertrag ist zur Befriedigung des berechtigten Interesses des Antragstellers erforderlich. Er benötigt die nicht schon aus dem Grundbuchauszug folgenden Informationen zum Kaufpreis und den weiteren Vertragsmodalitäten als Grundlage für die Wertbemessung des Grundstücks im Veräußerungszeitpunkt. Die Angaben sind nötig, um prüfen zu können, ob Ausgleichungsansprüche gegen die Miterbin B. R. entstanden sind. Dahinter hat das Geheimhaltungsinteresse der Käuferin des Grundstücks hinsichtlich dieser Daten zurückzustehen. Die Daten genießen keinen besonderen Schutz, weil sie von der Auskunftspflicht des Miterben aus § 2057 BGB erfasst und aufgrund der gesetzlichen Auskunftsverpflichtung ohnehin preiszugeben wären.“

Gleiches gilt für Enkel, deren Elternteil im Verhältnis zum Erblasser vorverstorben ist.

Rechtsanwalt Tobias Goldkamp
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