Erbrecht

Erfordert ein einfaches Testament weniger Testierfähigkeit?

Rechtsanwalt Tobias Goldkamp am 9. Januar 2020

War der Erblasser geistig erkrankt, als er das Testament errichtete, stellt sich die Frage, ob er testierunfähig war (§ 2229 Abs. 4 BGB). Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat die Linie der Rechtsprechung bekräftigt, dass auch für ein einfaches Testament keine geringeren Anforderungen an die Testierfähigkeit zu stellen sind.

Im Urteil vom 20. Dezember 2019, Aktenzeichen 14 U 99/17, führt das Gericht aus:

Nach § 2229 Abs. 4 BGB kann ein Testament nicht errichten, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Testierunfähig ist derjenige, dessen Erwägungen und Willensentschlüsse nicht mehr auf einer dem allgemeinen Verkehrsverständnis entsprechenden Würdigung der Außendinge und der Lebensverhältnisse beruhen, sondern durch krankhaftes Empfinden oder krankhafte Vorstellungen und Gedanken derart beeinflusst werden, dass sie tatsächlich nicht mehr frei sind, sondern vielmehr von diesen krankhaften Einwirkungen beherrscht werden. Diese Unfreiheit der Erwägungen und der Willensbildungen braucht nicht darin zutage zu treten, dass der Erblasser sich keine Vorstellung von der Tatsache der Errichtung eines Testaments und von dessen Inhalt oder von der Tragweite seiner letzten Anordnungen, insbesondere von ihrer Auswirkung auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen zu machen vermag, sie kann sich vielmehr darauf beschränken, die Motive für die Errichtung einer letztwilligen Verfügung entscheidend zu beeinflussen. Testierunfähig ist daher auch derjenige, der nicht in der Lage ist, sich über die für und gegen seine letztwillige Verfügung sprechenden Gründe ein klares, von krankhaften Einflüssen nicht gestörtes Urteil zu bilden und nach diesem Urteil frei von Einflüssen etwaiger interessierter Dritter zu handeln (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 29.01.1958 – IV ZR 251/57, FamRZ 1958, 127/128; OLG München, Entscheidung vom 20.07.1962 – BReg 1 Z 33/61, BayObLGZ 1962, 219/ 223f.). Dabei geht es nicht darum, den Inhalt der letztwilligen Verfügung auf seine Angemessenheit zu beurteilen, sondern nur darum, ob sie frei von krankheitsbedingten Störungen gefasst werden konnte (BayObLG, Beschluss vom 17.08.2004 – 1Z BR 053/04, BayObLGZ 1999, 205/210 f.).

Auf die Frage, ob es sich vorliegend nur um ein einfaches Testament gehandelt hat und ob es überhaupt eine relative, d.h. eine nach dem Grad der Schwierigkeit abgestufte Testierfähigkeit gibt (vgl. dazu BayObLG, Beschluss vom 05.12.1991 – BReg. 3 Z 182/91 und BGH, Urteil vom 19.06.1970 – IV ZR 83/69, NJW 1970, 1680, beide zur Geschäftsfähigkeit; Palandt/Edenhofer BGB 66. Aufl. § 2229 Rn. 2; a.A. Baumann, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2018, § 2229, Rn. 19; Sticherling, in: Münchner Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 2229 Rn. 22), kommt es dabei vorliegend nicht an. Auch die Vertreter der relativen Testierfähigkeit (Baumann, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2018, § 2229, Rn. 14 m.w.N.) gehen jedenfalls davon aus, dass Testierfähigkeit die Einsichtsfähigkeit und die Fähigkeit des Testators voraussetzt, das eigene Denken und Handeln – ohne den Einfluss von Dritten – selbst zu bestimmen. Der Erblasser muss – um rechtlich als testierfähig angesehen zu werden – imstande sein, den Inhalt des Testaments von sich aus zu bestimmen und seinen Willen auszudrücken. Der Erblasser muss nach eigenem Urteil frei von Einflüssen interessierter Dritter handeln können (Baumann, a.a.O.). Zur Testierfähigkeit reicht eine nur allgemeine Vorstellung von der Tatsache der Errichtung eines Testaments und von dessen Inhalt (OLG Hamm, Beschluss vom 09.11.1988 – 15 W 198/87, FamRZ 1989, 439) nicht aus. Der Erblasser muss eine konkrete Vorstellung seines letzten Willens haben und in der Lage sein, sich über die T ragweite seiner Anordnung und ihre Auswirkungen auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen ein klares Urteil zu bilden (BGH, Urteil vom 29.01.1958 – IV ZR 251/57, FamRZ 1958, 127; OLG Hamm, Beschluss vom 09.11.1988 – 15 W 198/87, FamRZ 1989, 439; BayObLG, Beschluss vom 30.06.1999 – 1Z BR 98/98, FamRZ 1996, 635; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 04.05.2005 – 9 W 612/04, ZEV 2005, 343; BayObLG, Beschluss vom 24.03.2005 – 1Z BR 107/04, ZEV 2005, 345). Für die Testierfähigkeit reicht es deshalb nicht aus, dass der Testierende in der Lage ist, die eigenen Bezugspersonen zu erkennen und einfache Sachverhalte zu erfassen. Es genügt nicht, dass er überhaupt einen Wunsch äußern oder eine Meinung artikulieren kann. Entscheidend ist vielmehr, dass der Testierende fähig ist, sich die Gründe für und wider seine Entscheidung zu vergegenwärtigen und sie gegeneinander abzuwägen, sich also selbständig und aus eigener Kraft ein Urteil zu bilden. Das setzt voraus, dass es ihm bei der Testamentserrichtung möglich ist, sich an Sachverhalte und Ereignisse zu erinnern, Informationen aufzunehmen, Zusammenhänge zu erfassen und Abwägungen vorzunehmen (Lauck, in: Burandt/Rohjahn, Erbrecht, 3. Auflage 2019, § 2229 Rn 3).

Diese Rechtsprechung ist vor dem Hintergrund der durch Art. 14 Grundgesetz geschützten Testierfreiheit jedes Erblassers streng. Andererseits bestünde bei einer lockereren Handhabung die Gefahr, dass etwa an Demenz Erkrankte noch stärker Einflussnahmen am Nachlass interessierter Personen ausgesetzt werden.

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