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Bagatellgrenze: Welcher Unfallschaden berechtigt zu Rücktritt oder Anfechtung?

Rechtsanwalt Tobias Goldkamp am 6. Februar 2015

Gibt der Autohändler einen reparierten Vorschaden nicht an, kann der Käufer zum Rücktritt oder zur Anfechtung berechtigt sein. Allerdings muss der Schaden über einen bloßen Bagatellschaden hinaus gehen. Die Bagatellgrenze ist in der Regel überschritten, wenn Blech oder Karosserie des Fahrzeugs beschädigt waren und diese Beschädigungen über leichte Dellen oder Kratzer hinaus gingen. Es kommt auch darauf an, wieviel das Fahrzeug beim Autokauf schon gelaufen war und wie alt es war.

Nicht jeder Kratzer und jede Schramme sind anzugeben

Das Oberlandesgericht Hamm entschied mit Urteil vom 29. September 1994, Az. 28 U 175/93, ein Käufer dürfe bei einem ohne Angabe eines Vorschadens verkauften Fahrzeug nicht ernsthaft glauben, dass der Verkäufer eine Einstandspflicht auch für jeden Kratzer oder jede Schramme übernehmen will, die das Fahrzeug irgendwann im Laufe der Zeit einmal erlitten hat.

Selbst die ausdrückliche Angabe im Gebrauchtwagenkaufvertrag, das Fahrzeug habe keinen Unfallschaden erlitten, ist nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 3. Dezember 2004 – Az. I-14 U 33/04 – so zu verstehen, dass das Fahrzeug keinen Schaden erlitten hat, der über einen Bagatell- oder Einfachschaden hinausgeht. Im dortigen Verfahren waren an dem Fahrzeug vor dem Verkauf Reparaturen in Höhe von mehr als damals 1.000 DM ausgeführt worden. Trotzdem ging das OLG Düsseldorf von bloßen Bagatellschäden aus:

„Angesichts der schon bei dem Austausch von Stoßstangen anfallenden Lackierkosten kann eine Überschreitung der Bagatellgrenze durch die nachgewiesenen und im Berufungsverfahren auch unstreitigen Reparaturen nicht angenommen werden. Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, die rechte Karosserieseite sei offenbar aus optischen Gründen neu lackiert worden (ergänzende Stellungnahme vom 16.10.2003, S. 2/Bl. 103 GA). Im Bereich des vorderen linken Kotflügels hat der Sachverständige eine leichte seitliche Verschiebung der Halter zur Aufnahme der Stoßfängerverkleidung dokumentiert (Seite 6 des Gutachtens vom 23.06.2003/Bl. 57 GA). Darüber hinaus hat der Sachverständige ermittelt, dass der Stoßfänger hinten rechts einen Anstoß erhalten hat. Die festgestellten Karosserieinstandsetzungsarbeiten betreffend den linken Kotflügel und im hinteren rechten Bereich des Stoßfängers beruhten auf ‚Bagatellbeschädigungen, wie sie … durch Kleinstkollisionen an Pkw eintreten‘ (Seite 2 der ergänzenden Stellungnahme vom 16.10.2003/Bl. 103 GA). Derartige Schäden sind auch nach Auffassung des Senats noch als Bagatellschäden einzuordnen, weil sie weder erheblichen Beseitigungsaufwand verursachen, noch nach den von einem Laien geprägten Verständnis als Unfallereignis angesehen werden können.“

Verformungstiefe und flächenmäßiges Ausmaß des Blechschadens von Bedeutung

In einem weiteren Urteil vom 25. Februar 2007 – Az. I-1 U 169/07 – setzte sich das OLG Düsseldorf dann sehr ausführlich damit auseinander, wie die Bagatellgrenze im Einzelfall zu bestimmen ist:

„Gemessen an diesen Auslegungskriterien kann der Senat schon nicht feststellen, dass die Angabe ‚unfallfrei‘ inhaltlich unzutreffend ist, das Fahrzeug also wegen des Vorschadens einen Sachmangel hat. Auf der Grundlage des Vorbringens des Klägers ist vielmehr von einem sogenannten Bagatellschaden auszugehen. Dabei verkennt der Senat nicht, dass der für einen Preis von 17.150 € gekaufte Gebrauchtwagen mit 41.000 km eine vergleichsweise niedrige Laufleistung hatte und auch sein Alter eine Einstufung als ‚junger Gebrauchter‘ nahe legt. Die Erstzulassung war am 09.07.2003, die Übernahme durch den Kläger im Juni 2005. Über die Art der Vorbenutzung ist Näheres nicht bekannt. Es wird lediglich mitgeteilt, dass der Wagen nicht als Taxi-Miet- oder Fahrschulwagen genutzt wurde. Die genaue Anzahl der Vorbesitzer ist gleichfalls nicht bekannt. Zugunsten des Klägers unterstellt der Senat, dass die Beklagte den Wagen aus erster Hand hereingenommen hat. All das spricht dafür, die bei Personenkraftwagen ohnehin sehr eng zu ziehende Bagatellschadengrenze im konkreten Fall nicht engherzig zu Lasten des Klägers zu bestimmen.

Schäden an der Fahrzeug-Außenhaut reichen je nach Schwere des Unfalls von leichten Kratzern, Abschürfungen und Verformungen über tiefe Kratzer bis hin zu Rissen und Löchern. Ein häufig anzutreffendes Unfallschadenbild ist die beschädigte Außenhaut einer Fahrzeugtür. Schäden an den Türen werden entweder durch eine komplette Türerneuerung behoben oder durch einen Austausch des Türblattes bei Weiterverwendung des Türgrundkörpers. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die gesamte Tür im Fahrzeug zu belassen und die Beschädigungen dadurch zu beheben, dass gespachtelt und lackiert wird. Letzteres ist im konkreten Fall geschehen. Das allein besagt nicht, dass es sich um einen sogenannten Bagatellschaden handelt. Für diese Beurteilung von besonderer Bedeutung ist die Frage, ob das Türblech unversehrt geblieben ist, ob also Blechverformungen vorhanden waren oder nicht. Ist lediglich der Lack beschädigt gewesen, beispielsweise durch Abschürfungen oder Kratzer, wird es sich in den meisten Fällen um einen Bagatellschaden handeln. Auf der anderen Seite ist die Grenze zwischen Bagatellschaden und Fahrzeugmangel nicht durch jede Verformung des Bleches überschritten. Das ist auch eine Frage der Verformungstiefe und der Größe der Fläche, die in Mitleidenschaft gezogen worden ist. Nicht jede Beule oder Delle in der Tür eines Pkw, auch eines jüngeren, bedeutet einen Schaden, der über die Bagatellgrenze hinausgeht.

Im konkreten Fall spricht vieles dafür, dass die Beschädigungen nicht auf den Lack beschränkt waren. Darauf deuten bereits die Spachtelarbeiten an der Tür hinten rechts unterhalb der Leiste hin. Genaue Aussagen über die Tiefe und das Ausmaß der Verformung lassen sich ohne sachverständige Beratung nicht treffen. Schon der …-Prüfer hat darauf hingewiesen, dass ohne Teildemontage eine weitere Beurteilung nicht möglich sei. Gegen die Annahme, dass es sich um einen kleineren ‚Parkrempler‘ oder ein ähnlich geringfügiges Schadensereignis gehandelt hat, spricht auch der Umstand, dass an beiden Türen auf der rechten Seite nachlackiert worden ist. Auf der anderen Seite kann das aber auch darin begründet sein, dass man eine Farbanpassung vorgenommen hat.

Auch wenn einiges für die Annahme einer Beschädigung jenseits der Bagatellschadensgrenze spricht, so kann andererseits nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Kostenaufwand für die Schadensbehebung vergleichsweise niedrig ist. Davon, dass die Reparaturkosten weit über 1.200 € liegen, wie der Kläger zunächst behauptet und unter Sachverständigenbeweis gestellt hat, kann auf der Grundlage seines ergänzenden Sachvortrags nicht die Rede sein. Nach dem von ihm eingereichten Kurzgutachten des Sachverständigen L. belaufen sich die Netto-Reparaturkosten auf der Basis der Preise des Jahres 2008 auf 847,74 €. Darin enthalten sind 85 € (netto) für die Verbringung des Fahrzeugs. Diese Kosten sind herauszurechnen. Eine fachgerechte Reparatur ist auch ohne die sogenannte Verbringung (Transport vom Autohaus zum Lackierbetrieb und zurück) möglich.

Selbst wenn man mit dem Sachverständigen L… die Stundensätze eines fabrikatgebundenen Fachbetriebes und nicht die erheblich niedrigeren Sätze einer freien Werkstatt zugrunde legt, bleibt der Nettoreparaturkostenbetrag demnach unter 800 €. Einschließlich Umsatzsteuer, die hier mit 16 % zu veranschlagen wäre, liegt der Gesamtkostenaufwand deutlich unter 1.000 €. Das indiziert Unerheblichkeit i.S.d. hier zu erörternden Bagatellschadensgrenze. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Reparaturkostenhöhe nur ein, wenn auch wesentlicher Anhalt dafür ist, einen Bagatellschaden von einem Schaden abzugrenzen, der einem Fahrzeug die zugesagte Eigenschaft ‚unfallfrei‘ nimmt.

Nach Ansicht des BGH sind Blechschäden, deren fachgerechte Beseitigung 1.774,67 € kostet bei einem knapp 5 ½ Jahren alten Fahrzeug mit einer Laufleistung von rund 54.000 km kein ‚Bagatellschaden‘ mehr (NJW 2008, 53 zu § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB). Nach einer Entscheidung des OLG Koblenz aus dem Jahre 1997 fällt ein Blechschaden an einem Pkw bei einem Reparaturkostenaufwand von mehr als 1.660 DM nicht mehr in die Kategorie ‚Bagatellschaden‘ (VRS 96, 241). Das OLG Celle sieht in einer Entscheidung aus dem Jahre 1995 (4 U 301/94) die Bagatellgrenze bei Reparaturkosten von 2.120 DM als überschritten an (Austausch eines Kotflügels und der Beifahrertür bei einem Audi 80). Bei einem Austausch beider Kotflügel durch Neuteile hat das OLG Rostock in gleicher Weise entschieden (Urteil vom 17.12.2003, OLGR 2005, 46; ähnlich LG Karlsruhe NZV 2006, 40). Einschlägig ist auch die Entscheidung des OLG Thüringen vom 20.12.2007, 1 U 535/06. In enger Anlehnung an das BGH-Urteil vom 10.10.2007 (NJW 2008, 53) werden ‚Blechschäden‘, selbst wenn sie keine weitergehenden Folgen hatten und der Reparaturaufwand nur gering war, nicht mehr als Bagatellschäden angesehen.

Allein der Umstand, dass die Außenhaut des Fahrzeugs, also das Blech, beschädigt worden ist, kann einen Schadensfall nicht zu einem Unfallschaden jenseits der Bagatellschadensgrenze machen. Das wäre eine zu pauschale Sicht. Wie dem BGH-Urteil vom 10.10.2007 (NJW 2008, 53) zu entnehmen ist, spielen auch die Tiefe der Verformung und das flächenmäßige Ausmaß der Beschädigung eine Rolle. In dem Fall, den der BGH nach den Kriterien des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB zu entscheiden hatte, lagen Blechschäden vor, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ursprünglich tiefer als die bis zu 5 mm starke Schichtstärke des Spachtelauftrags waren.“

Das OLG Frankfurt am Main entschied mit Urteil vom 10. Mai 2012, Az. 12 U 173/10, ein Gebrauchtwagenhändler, der einen 5 1/2 Jahre alten Audi A8 Quattro, ehemaliges Leasingfahrzeug, im Jahr 2007 mit einer Laufleistung von 124.058 km für 34.500 Euro verkaufte, habe den Käufer nicht darüber aufklären müssen, dass das Fahrzeug im Jahre 2005 zu einem Nettopreis von rund 880 Euro mit Lackierarbeiten im Zusammenhang mit dem Ein- und Aufbau von Kunststoffteilen repariert worden war, weil es sich um einen bloßen Bagatellschaden gehandelt habe. Das Verschweigen dieser Reparatur berechtige nicht zur Anfechtung des Kaufvertrages wegen arglistiger Täuschung. Im Urteil heißt es:

„Nach der Reparaturhistorie wurden am 30.05.2005 folgende Arbeiten durchgeführt:

Schlussleuchten aus- und eingebaut, Abdeckung für den Stoßfänger hinten aus- und eingebaut, Abdeckung für den Stoßfänger hinten ersetzt, Stoßfängeraufnahme gerichtet, Sensor für die Einparkhilfe aus- und eingebaut, Stoßfänger hinten Neuteil lackiert, Karosserie Lackierung vorbereitet.

Die Klägerin behauptet für diese Arbeiten, gestützt auf ein von ihr eingeholtes Dekra-Gutachten vom 29.03.2010, einen Kostenaufwand von 880,49 € netto bzw. 1.047,00 € brutto. Es handelte sich nach der Reparaturhistorie und dem Privatgutachten vor allem um Lackierarbeiten im Zusammenhang mit dem Ein- und Ausbau von Kunststoffteilen. Blechschäden, die tiefer als die Schichtstärke des Spachtelauftrags waren, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Anhaltspunkte hierfür ergeben sich weder aus dem Privatgutachten, noch aus der Reparaturhistorie.“

Rücktritt nur bei Minderwert von mehr als fünf Prozent

Letztlich lehnte das OLG Düsseldorf im Urteil vom 25.02.2007 ein Rücktrittsrecht (früher Wandlung) ab, weil die vorangegangenen Reparaturen jedenfalls keinen erheblichen Mangel darstellten. Nach § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB ist der Rücktritt ausgeschlossen, wenn der Mangel unerheblich ist. Ein nicht angegebener Vorschaden ist erst erheblich, wenn er zu einem merkantilen Minderwert des Fahrzeugs von mehr als fünf Prozent des Kaufpreises ausmacht (sogenannte 5-%-Rechtsprechung, BGH, Urteil vom 28. Mai 2014 – VIII ZR 94/13). Liegt ein nicht angegebener Vorschaden vor, der über die Bagatellgrenze hinaus geht, jedoch zu keinem merkantilen Minderwert von über fünf Prozent führt, bleibt dem Käufer die Kaufpreisminderung nach § 441 BGB.

Anfechtung: Verkäufer verschwieg oder verharmloste erheblichen Vorschaden bewusst

Hat der Verkäufer einen meldepflichtigen und erheblichen reparierten Vorschaden gekannt und bewusst verschwiegen, kann der Käufer seine Kaufvertragserklärung wegen arglistiger Täuschung anfechten (§ 123 BGB). Während es für den Rücktritt ausreicht, nachzuweisen, dass ein erheblicher reparierter Vorschaden vorlag, setzt die Anfechtung zusätzlich den Beweis voraus, dass der Verkäufer den Vorschaden kannte und bewusst verschwieg. Der Nachweis kann beispielsweise geführt werden, wenn der Verkäufer die Reparatur selbst veranlasst hat.

Vorteil der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ist, dass sie noch bis zu zehn Jahre nach dem Kaufvertrag möglich ist. Allerdings muss der Käufer sie innerhalb eines Jahres ab Kenntnis von der Täuschung erklären.

Eine arglistige Täuschung liegt auch vor, wenn der Verkäufer einen Unfallschaden bewusst verharmlost.

Rechtsanwalt Tobias Goldkamp
Fachanwalt für Erbrecht
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Rechtsberatung:

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