Steuerrecht | Strafrecht

Aussetzung der Vollziehung, wenn Besteuerungsunterlagen nicht mitgeteilt sind

Rechtsanwalt Tobias Goldkamp am 7. Dezember 2018

Nach § 364 AO muss das Finanzamt die Unterlagen der Besteuerung mitteilen, wenn der Steuerpflichtige dies beantragt oder die Begründung seines Einspruchs dazu Anlass gibt. Verletzt das Finanzamt diese Verpflichtung, ist die Vollziehung des Bescheids auszusetzen.

Schon 1978 entschied der BFH, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids bestehen, wenn das Finanzamt dem Steuerpflichtigen die Besteuerungsgrundlagen noch nicht in einem für die Rechtsverteidigung ausreichenden Umfang mitgeteilt hat:

„Bei fehlender Substantiierung des Steuerbescheides ist der Steuerpflichtige außerstande, im Aussetzungsverfahren seine Rechte in ausreichendem Maße wahrzunehmen. Auch ist dann dem Gericht im Aussetzungsverfahren eine sachliche Entscheidung der Frage unmöglich, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vorliegen. Es ist daher davon auszugehen, daß das Fehlen ausreichender Angaben über die Besteuerungsgrundlagen allein genügt, ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 Abs 2 und 3 FGO bzw des § 242 Abs 2 AO zu begründen.“

(BFH, Urteil vom 04. April 1978 – VII R 71/77 –, BFHE 125, 20, BStBl II 1978, 402)

Das FG Düsseldorf erläutert, was zu den Unterlagen der Besteuerung gehört:

„Im Streitfall bestehen ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Nachforderungsbescheides vom 2.11.2006. Die AdV ist vorliegend deshalb in vollem Umfang zu gewähren, weil das FA die Pflicht zur Mitteilung von Besteuerungsunterlagen gem. § 364 AO missachtet und damit einen schweren Verfahrensfehler begangen hat.

1. Der Anspruch auf Mitteilung der Besteuerungsgrundlagen ist Ausfluss des in Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz verbürgten Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl. BFH-Urteil vom 4.4.1978 VII R 71/77, Bundessteuerblatt –BStBl– II 1978, 402). Gemäß § 364 AO sind den Beteiligten, soweit es noch nicht geschehen ist, die Unterlagen der Besteuerung auf Antrag oder, wenn die Begründung des Einspruchs dazu Anlass gibt, von Amts wegen mitzuteilen. Unterlagen der Besteuerung in diesem Sinne sind alle Beweismittel und Beweisergebnisse im weiteren Sinne, die geeignet sind, das Ergebnis des Verfahrens zu beeinflussen (vgl. Tipke, in Tipke/Kruse, Kommentar zur AO, FGO, § 364 AO Rn. 2). Hierzu gehören etwa Gutachten, Zeugenaussagen, Urkunden, Schätzungs- und Bewertungsunterlagen, Berechnungsgrundlagen etc. (vgl. etwa das Urteil des Reichsfinanzhofs –RFH– vom 22.6.1921 IVa A 70/21, Sammlung der Entscheidungen des RFH, Bd. 6, 248 sowie die Zusammenstellung bei Loschelder, AO-Steuerberater –AO-StB– 2003, 126, 127).“

(FG Düsseldorf, Beschluss vom 19. März 2007 – 16 V 4828/06)

So sieht es auch das FG Hamburg:

„Die Aussetzung der Vollziehung ist im Streitfall bereits deshalb zu gewähren, weil der Antragsgegner seiner Pflicht zur Mitteilung der Besteuerungsunterlagen nach § 364 AO nicht nachgekommen ist. Nach dieser Bestimmung sind den Beteiligten die Unterlagen der Besteuerung auf Antrag oder, wenn die Begründung des Einspruchs dazu Anlass gibt, von Amts wegen mitzuteilen. Der Anspruch auf Mitteilung der Besteuerungsgrundlagen ist Ausfluss des in Art. 103 Abs. 1 GG verbürgten Anspruchs auf rechtliches Gehör. Unterlagen der Besteuerung in diesem Sinne sind alle Beweismittel und Beweisergebnisse im weiteren Sinne, die geeignet sind, das Ergebnis des Verfahrens zu beeinflussen. Hierzu gehören etwa Gutachten, Zeugenaussagen, Urkunden, Berechnungsgrundlagen etc. (FG Düsseldorf, Beschluss vom 19.03.2007, 16 V 4828/06; Seer in Tipke/Kruse § 364 Rn. 2). Solange die Finanzbehörde ihre Verpflichtung aus § 364 AO nicht nachkommt, kann nach allgemeiner Auffassung allein deshalb die Aussetzung der Vollziehung gerechtfertigt sein (BFH, Urteil vom 04.04.1978, VII R 71/77; FG Düsseldorf, Beschluss vom 19.03.2007, 16 V 4828/06; Seer in Tipke/Kruse § 364 Rn. 2).“

(FG Hamburg, Beschluss vom 30. Januar 2012 – 4 V 4/12)

Wurden die Besteuerungsgrundlagen mit dem Steuerpflichtigen mündlich erörtert, muss hierüber eine nachvollziehbare Dokumentation erstellt werden:

„Ist dem Gericht im Aussetzungsverfahren eine sachliche Entscheidung der Frage unmöglich, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vorliegen, weil die Besteuerungsgrundlagen dem Antragsteller nicht in einem für die Rechtsverteidigung ausreichenden Umfang mitgeteilt worden sind, so begründet dies bereits für eine Aussetzung ausreichende ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit im Sinne des § 69 Abs. 2 und 3 FGO (vgl. BFH-Urteil vom 04.04.1978 VII R 71/77, BFHE 125, 20, BStBl II 1978, 402-404).

Dasselbe gilt, wenn die Ergebnisse einer Betriebsprüfung zwar anscheinend mit dem Steuerpflichtigen erörtert wurden, sich diese aber nicht nachvollziehbar dokumentiert in den dem Gericht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorgelegten Akten finden. Auch dann ist es dem Gericht unmöglich, die aufgeworfenen Rechts- und Tatsachenfragen zu bewerten.“

(FG Nürnberg, Beschluss vom 12. April 2018 – 2 V 1532/17)

Das FG Sachsen weist darauf hin, dass dem Steuerpflichtigen rechtliches Gehör zu den Besteuerungsgrundlagen zu gewähren ist:

„Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide vom 25.7.2012 über die Änderung der Investitionszulagen der Jahre 2003, 2004 und 2008 sowie der Bescheide vom 25.7.2012 über die Umsatzsteuer der Jahre 2003, 2004, 2005 und 2008 gründen bereits auf einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, der erst zum 28.1.2013 geheilt wurde.

Der verfassungsrechtliche Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG), Art. 78 Abs. 2 Verfassung des Freistaates Sachsen (SächsVerf) betrifft das gerichtliche Verfahren. Der Anspruch auf rechtliches Gehör im Verwaltungsverfahren ist einfachrechtlich in der Abgabenordnung u.a. durch § 91; § 364 AO konkretisiert.

Der Antragsgegner ist den Anforderungen dieser Vorschriften bis zum 28.1.2013 nicht nachgekommen, so dass die Bescheide bis zum 28.1.2013 formell rechtswidrig waren. Bereits der Verstoß gegen die den Anspruch auf rechtliches Gehör sichernden Vorschriften gebietet eine Entscheidung nach § 69 Abs. 3 FGO (vgl. FG Hamburg, Beschluss vom 30.1.2012, 4 V 4/12 [zit. nach juris] m.w.N.).

a) Nach § 91 Abs. 1 AO soll dem Beteiligten Gelegenheit gegeben werden, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in dessen Rechte eingreift.

Der Antragsgegner hat nicht vorgetragen, dass er der Antragstellerin vor Erlass der genannten Bescheide gemäß § 91 Abs. 1 AO Gelegenheit gegeben hat, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Entsprechende Anschreiben an die Antragstellerin finden sich auch nicht in den überreichten Akten.

Es ist ferner kein Grund nach § 91 Abs. 2 oder Abs. 3 AO vorgetragen oder ersichtlich, nach dem eine Anhörung als verzichtbar anzusehen ist. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug notwendig war (§ 91 Abs. 2 Nr. 1 AO). Der Antragsgegner hat mit dem Bescheiderlass keine Vollstreckungsmaßnahmen verbunden. Zudem hat die Antragstellerin aufgrund ihres Geschäftsmodells – Einkauf von Waren zum allgemeinen Steuersatz; Veräußerung von Waren zum ermäßigten Steuersatz – regelmäßig einen Vorsteuerüberhang, der dem Antragsgegner zur Vollziehung der Bescheide zur Verfügung steht und auch genutzt wird. Insofern ist nicht erkennbar, dass das Unterlassen der Anhörung der Abwendung eines drohenden Steuerausfalls diente.“

(Sächsisches Finanzgericht, Beschluss vom 25. Februar 2013 – 8 V 1384/12)

Die Besteuerungsunterlagen müssen den Steueranspruch schlüssig begründen:

„Der Zwischenbericht ist jedoch entgegen der Auffassung des FG nicht geeignet, die Steueranforderung lt. Vorauszahlungsbescheid so zu belegen, daß ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit ausgeschlossen sind. Der Senat folgt dem Antragsteller darin, daß es nicht Aufgabe der Gerichte im Vollziehungsaussetzungsverfahren ist, einen unvollständig begründeten und bestrittenen Steueranspruch durch eigene Ermittlungen zu belegen. Die Verwaltung hat gegenüber dem Steuerpflichtigen (BFHE 125, 20, BStBl II 1978, 402) und gegenüber dem Gericht eine Mitteilungs- und Begründungspflicht. Läßt sie es hieran fehlen, sind ohne weiteres ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Steueranspruchs begründet. Andererseits sind die Anforderungen an die Verwaltung nicht zu überspannen. Die Mitteilung der Besteuerungsgrundlagen und in rechtlich schwierig liegenden Fällen der schlüssigen Begründung des Steueranspruchs müssen nicht im Steuerbescheid selbst erfolgen. Es genügt die Bezugnahme auf einen bekanntgemachten Prüfungsbericht. Dieser muß allerdings so viele Angaben enthalten, daß sich das Gericht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ein Bild von dem geltend gemachten Anspruch machen kann.“

(BFH, Beschluss vom 14. Februar 1984 – VIII B 112/83 –, BFHE 140, 153, BStBl II 1984, 443)

Rechtsanwalt Tobias Goldkamp
Fachanwalt für Erbrecht
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