Arbeitsrecht

Tarifeinheit verfassungswidrig? -Rechtsprechungsänderung hätte erhebliche Auswirkungen auf Arbeitsrecht insgesamt!

Rechtsanwalt Ralf Klingen am 2. Februar 2010

Der Beschluss

Der 4. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hält den 1957 selber entwickelten Grundsatz der Tarifeinheit heute für verfassungswidrig. Am 27.1.2010 wurde beschlossen (siehe Pressemitteilung Nr. 9/10 unter www.bundesarbeitsgericht.de), den ebenfalls zuständigen 10.Senat des BAG  zu befragen, ob er an der bisherigen Rechtsauffassung festhalten will. Entweder der 10. Senat ändert auch seine Meinung oder es erfolgt eine Grundsatzvorlage an den Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts.

Das Problem

Tarifeinheit bedeutet: Ein Betrieb hat nur einen maßgeblichen Tarifvertrag. Gelten soll jeweils der Vertrag, der dem Betrieb am nächsten steht. Dieses Prinzip findet man allerdings nicht im Tarifvertragsgesetz, vielmehr wurde es vom Bundesarbeitsgericht 1957 aus praktischen Gründen erfunden, um das Tarifgeschehen übersichtlich zu halten. Die Kritik an diesem „Richterrecht“ ist genauso alt, wie die Entscheidung selber. Die Tarifeinheit verstoße gegen die im Grundgesetz verankerte Tarifautonomie und die Koalitionsfreiheit, so die Kritiker.

Der konkrete Fall

Im konkreten Fall hatte ein Arzt geklagt, der der Ärztegewerkschaft Marburger Bund angehört. Er forderte im Jahr 2005 Urlaubszuschläge ein, die ihm damals nach einem Tarifvertrag zustanden, den der Marburger Bund mit ausgehandelt hatte. Der Arbeitgeber hielt ihm entgegen, dass es inzwischen einen spezielleren Tarifvertrag mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi gebe, der den Vertrag des Marburger Bunds verdränge. Der 4. Senat möchte jetzt im Sinne des Arztes entscheiden.

Das Fazit

Da der „Grundsatz der Tarifeinheit“ auch von vielen Landesarbeitsgerichten und im Schrifttum stark kritisiert worden ist, spricht mehr für eine Änderung der Rechtsprechung als dagegen. Fällt die „Tarifeinheit“, so würden die kleineren Spezialgewerkschaften (Lokführer, Piloten, Ärzte, etc.) vermutlich an Einfluss gewinnen. Befürworter der „Tarifeinheit“ befürchten, dass dies die breite Mehrheit der Beschäftigten benachteiligt, da der Solidaritätsgedanke verloren gehen könnte. Einige Unternehmen befürchten, dass es ohne Tarifeinheit viel mehr Streiks geben wird, weil ständig irgendein Tarifvertrag ausläuft, jede Kleingruppe für ihren jeweils neuen Vertrag kämpft und die Gewerkschaften sich in ihren Forderungen gegenseitig überbieten, um Mitglieder zu gewinnen.

In jedem Fall hätte die Rechtsprechungsänderung erhebliche Konsequenzen für Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Verbände, Gewerkschaften und Betriebsräte, wie z.B.

  • Eine Vielzahl von Arbeitsverträgen müssen überarbeitet werden. Denn Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträgen wie z.B. „Es gelten die jeweils geltenden Tarifverträge.“, werden problematisch, wenn im Betrieb  mehrere Tarifverträge in Betracht kommen.
  • Wie ist der Vorrang des Tarifvertrags (welcher?) hinsichtlich der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats zu sehen?
  • Die Arbeitgeber müssen die Gestaltung der Firmentarifverträge überdenken.
  • Arbeitskämpfe werden wegen der Tarifpluralität zunehmen.

Die Auswirkungen hat der 4. Senat gesehen. Ausweislich der Pressemitteilung sollen diese aber keinen Verfassungsverstoss rechtfertigen können.  Das BAG hat dies 1957 noch anders gesehen.

Rechtsanwalt Ralf Klingen
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
Fachanwalt für Arbeitsrecht
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Rechtsberatung:

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