Zivilprozessrecht

Ablauf des Berufungsverfahrens

Rechtsanwalt Tobias Goldkamp am 23. Oktober 2019

Wer in erster Instanz zu einem Wert von mehr als 600 Euro verliert, kann gegen das Urteil Berufung einlegen.

Die Berufung hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig ist und

  • das Urteil auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 513 I Fall 1 i.V.m. § 546 ZPO) oder
  • die im Urteil getroffenen Tatsachenfeststellungen unrichtig sind (§ 513 I Fall 2 i.V.m. § 529 I Nr. 1 ZPO) oder
  • neue berücksichtigungsfähige Angriffs- oder Verteidigungsmittel vorliegen (§ 513 I Fall 2 i.V.m. §§ 529, I Nr. 2, 531 II ZPO)

und der Fehler durchgreift, d.h. eine Abänderung zugunsten des Berufungsklägers zu erwarten ist.

Zulässigkeit

Die Berufung ist statthaft, wenn der Beschwerdegegenstand – also der mit der Berufung angegriffene Teil des Urteils – einem Streitwert von mehr als 600 Euro entspricht oder wenn die Berufung im Urteil ausdrücklich zugelassen wurde (§ 511 II ZPO).

Die Berufung muss innerhalb eines Monats ab Zustellung des Urteils eingelegt werden (§ 517 ZPO) und innerhalb von zwei Monaten begründet werden (§ 520 II 1 ZPO). Dies muss jeweils durch einen anwaltlichen Schriftsatz geschehen.

Berufungsanträge

Die Berufungsbegründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Änderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge, § 520 III Nr. 1 ZPO).

Beispiel 1:

Es wird beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Beispiel 2:

Es wird beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 30.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Berufungsgründe

Die Berufungsbegründung muss außerdem Berufungsgründe angeben, d.h. aufzeigen, weshalb die begehrte Änderung des angefochtenen Urteils angezeigt sein soll.

Rechtsverletzung

Eine Rechtsverletzung liegt vor, wenn im Urteil eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewandt wurde (§ 546 ZPO). In der Berufungsbegründung sind die Umstände anzugeben, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für das angefochtene Urteil ergeben (§ 520 III Nr. 2 ZPO).

Fehlerhafte Tatsachenfeststellung

Das Berufungsgericht legt grundsätzlich die Tatsachen so zugrunde, wie sie im angefochtenen Urteil festgestellt sind. Nur wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellungen begründen und es sich um entscheidungserhebliche Feststellungen handelt, wird das Berufungsgericht eigene Feststellungen vornehmen (§ 529 I Nr. 1 ZPO).

Sollen Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der im angefochtenen Urteil getroffenen Tatsachenfeststellungen geltend gemacht werden, so sind in der Berufungsbegründung die Anhaltspunkte dafür anzugeben (§ 520 III Nr. 3 ZPO).

Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel

Das Berufungsgericht geht zunächst von dem Sachvortrag und den Beweisangeboten aus der ersten Instanz aus, so dass neue Angriffs- und Verteidigungsmittel grundsätzlich ausgeschlossen sind.

Sollen in der Berufungsinstanz neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel in den Rechtsstreit eingeführt werden, so sind in der Berufungsbegründung die Tatsachen, aufgrund derer sie ausnahmsweise noch zuzulassen sind, anzugeben (§ 520 III Nr. 4 ZPO).

Neuer Sachvortrag oder neue Beweisangebote werden nur zugelassen, wenn sie einen Gesichtspunkt betreffen, der vom erstinstanzlichen Gericht erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist, wenn sie infolge eines Verfahrensmangels erstinstanzlich nicht geltend gemacht wurden oder wenn ihre bisherige Nichtgeltendmachung auf keiner Nachlässigkeit der Partei beruht (§ 531 II ZPO).

Zudem hat das Berufungsgericht neuen Sachvortrag zu berücksichtigen, wenn er unstreitig bleibt, d.h. die Schilderungen der beiden Parteien in diesem Punkt nicht auseinandergehen.

Berufungsverfahren

Das Gericht stellt die Berufungsschrift und die Berufungsbegründung der Gegenseite zu (§ 521 I ZPO). Es kann der Gegenseite eine Frist zur Berufungserwiderung setzen (§ 522 II ZPO).

Es prüft, ob die Berufung statthaft ist und ob sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist. Bei Zulässigkeitsmängeln verwirft das Gericht die Berufung durch Beschluss als unzulässig (§ 522 I ZPO).

Die Berufungskammern beim Landgericht und die Senate beim Oberlandesgericht bestehen aus jeweils drei Richtern. Der Fall wird einem Richter als Einzelrichter zur Entscheidung zugewiesen (§ 526 ZPO) oder einem Richter vorbereitender Einzelrichter (§ 527 ZPO) oder als Berichterstatter zur Vorbereitung zugewiesen. Er prüft das Urteil, arbeitet die Akte auf und prüft die Argumente aus der Berufungsbegründung. Wann dies geschieht, hängt von der Arbeitsbelastung der entsprechenden Richter ab. In der Regel vergehen zwischen sechs und zwölf Monaten. Es kann auch schneller gehen oder länger dauern.

Wenn die Prüfung abgeschlossen ist, berichtet der Berichterstatter der Kammer bzw. dem Senat über den Fall und darüber, wie er die Angelegenheit einschätzt (Votum). Die Kammer oder der Senat diskutiert dann den Fall intern in geheimer Beratung.

Ist die Kammer oder der Senat einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, wird die Berufung durch Beschluss zurückgewiesen (§ 522 II ZPO). In einem solchen Fall erhält der Berufungskläger jedoch vorher einen Hinweis und Gelegenheit zur Reaktion. Er kann dann durch eine ergänzende Stellungnahme oder durch die Rücknahme der Berufung reagieren.

Hält mindestens ein Richter aus der Kammer bzw. dem Senat die Angelegenheit für offen oder für erfolgsversprechend, beraumt das Gericht einen Verhandlungstermin an (§ 523 ZPO).

Das Gericht kann die Berufung zurückweisen, das Urteil abändern (§ 538 I ZPO) oder das Urteil aufheben und den Rechtsstreit an das erstinstanzliche Gericht zur erneuten Beratung und Entscheidung zurückverweisen (§ 538 II ZPO).

Insgesamt dauert ein Berufungsverfahren in der Regel zwischen 6 und 24 Monaten.

Rechtsanwalt Tobias Goldkamp
Fachanwalt für Erbrecht
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Rechtsberatung:

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